Bei einem Herzinfarkt zählt jede Minute


Im Herz-Kreislauf-Zentrum Rotenburg werden Operationen auf höchstem medizinischen Niveau durchgeführt. Foto: Thomas Lohnes für Das HKZ

Was tun, wenn die Brust schmerzt

Ganz klar: Den Notruf 112 wählen und direkt mitteilen, dass man den Verdacht auf einen Herzinfarkt hat. „Dies ist unsere wichtigste Botschaft“, so die beiden Herzteams des Herz-Kreislauf-Zentrums Rotenburg (HKZ) und des Hersfelder Klinikums unisono. Dass Minuten hier entscheidend sein können, weiß auch Klaus Gipper, der im Januar dieses Jahres einen Herzinfarkt erlitt.

Klaus Gipper ist heute 74 Jahre alt und kennt sich aus: In seinem Leben war er nach seiner Dienstzeit beim BGS und einer Ausbildung als Verwaltungsbeamter bei der Deutschen Rentenversicherung tätig. Aufgrund einer gravierenden Erkrankung (Morbus Hirschsprung) hatte er 1991 eine Umschulung in der Krankenpflege absolviert und anschließend in Marburg und Hünfeld auf Intensivstationen gearbeitet. Ab 1996 bis zu seinem Renteneintritt hatte er ununterbrochen in der Anästhesie und Notfallmedizin gearbeitet. Entsprechende Erfahrungen hatte er durch Fort- und Weiterbildungen erreicht.
Im Frühjahr 2023 spürte er bei sich Symptome, die er zunächst seiner Morbus Hirschsprung Erkrankung zuordnete. „Ich war mit dem eBike unterwegs und hatte beim Ankommen zu Hause einen stechenden Schmerz in der Brust, der bis hin zum Bauchnabel gestrahlt hat. Deshalb habe ich direkt den Notarzt angerufen“, erinnert sich der Rentner. Dieser führte unmittelbar im Wohnzimmer ein EKG durch, erkannte die typischen ST-Streckenhebungen eines Infarkts und brachte Klaus Gipper nur 15 Minuten später in die Chest-Pain-Unit am Herz-Kreislauf-Zentrum in Rotenburg.

Am HKZ wurde Klaus Gipper vom Team auf der Notaufnahme-Station aufgenommen, die ST-Streckenhebungen wurden im EKG bestätigt und er wurde unverzüglich zum Herzkatheterlabor weitergeleitet. Dort wurde er von Oberarzt Yusuf Mangov untersucht. Die Diagnose: Hinterwandinfarkt. „Bei Herrn Gipper war die Diagnose vom Notarzt richtig gestellt worden. Anhand der umgehenden Herzkatheteruntersuchung konnten wir dann feststellen, dass die rechte Herzkranzarterie thrombotisch verschlossen war. Diese wurde schnell wieder geöffnet und mit insgesamt vier Stents versorgt“, so Mangov. „Ein typischer Infarkt entsteht, wenn eine Arterie plötzlich zu ist. Meistens passiert dies an einer verletzten Stelle der Arterienwand, wo sich vorher die sogenannten Plaques gebildet haben, also Ablagerungen. Diese können reißen, sodass die lokale Gerinnungskaskade aktiviert wird und sich darauf Thromben, also Gerinnsel, bilden. Im Falle von Klaus Gipper trifft dies auf das Gerinnsel zu, das seine große rechte Koronararterie verschlossen hatte. Außerdem waren Plaques im weiteren Verlauf des Gefäßes zu sehen und verursachten bereits hochgradige Verengungen, sodass entsprechend die vier Stents notwendig wurden“, erläutert der Oberarzt weiter. Klaus Gipper verblieb nach dem Eingriff auf der Intensivstation. Die ersten 24 bis 48 Stunden nach dem Eingriff, der die Arterie nach einem Herzinfarkt wieder öffnet, gelten als besonders kritisch, da schwerwiegende Herzrhythmusstörungen auftreten können. Das ist jedoch glücklicherweise nicht der Fall gewesen, sodass Klaus Gipper schnell auf die Normalstation verlegt werden konnte. „Die Werte von Herrn Gipper waren tatsächlich kurz nach dem Eingriff wieder normal. Das hat uns klar gezeigt, dass das Herz keine großen Schädigungen davongetragen hat“, so Mangov.

Am Herzkathethertisch machte Mangov jedoch noch eine weitere Entdeckung, über die er seinen Patienten im Anschluss aufklärte: Auch auf der linken Seite waren Stenosen, also Engstellen, sichtbar. Klaus Gipper musste also nach ein paar Wochen, in denen er sich von dem ersten Eingriff erholen sollte, wiederkommen.
Der zweite Eingriff fand im Frühjahr statt: Auch auf der linken Seite lagen einige verkalkte Engstellen vor, die den Blutfluss bis zu 90 Prozent beeinträchtigten. „Mit der Zeit kann solch eine Engstelle unter Umständen auch einen akuten Infarkt verursachen oder zu einer Herzschwäche, sogar zu Herzrhythmusstörungen und schlimmstenfalls zum plötzlichen Herztod im Schlaf oder bei Anstrengung führen“, erklärt Mangov. Deshalb entschied sich der Oberarzt dazu, alle Engstellen mit Stents zu versorgen. „Für diesen Eingriff war nicht einmal eine Vollnarkose notwendig, sodass ich die gesamte Zeit über mit dem Arzt reden konnte und auch nicht auf die Intensivstation musste“, erinnert sich Gipper.
Dass er sich am HKZ wohl gefühlt hat, betont Klaus Gipper retrospektiv gerne: „Ich habe durch meinen Beruf und private Themen das Wissen, um meine Behandlung in Rotenburg gut beurteilen zu können.“ Und mit dieser war der gelernte Krankenpfleger mehr als zufrieden: So habe er die Aufklärungsgespräche mit den behandelnden Personen als sehr positiv und gut verständlich in Erinnerung und habe sich für seinen zweiten Eingriff gerne wieder für das HKZ entschieden. Außerdem seien der Rettungsdienst sowie der diensthabende Notarzt ein wichtiger Faktor gewesen. „Er hat unmittelbar erkannt, dass es sich nicht um eine Perforation bedingt durch meine Erkrankung gehandelt hat, sondern, dass ein Infarkt vorlag“, so Gipper. Dem ergänzt Mangov: „Herr Gipper hat richtig reagiert und direkt den Rettungsdienst verständigt. Dieser ist auf solche Momente vorbereitet und agiert entsprechend schnell. Bei einem Herzinfarkt und auch Schlaganfall gilt einfach, dass die Zeit der wichtigste Faktor ist. Und damit meine ich nicht unbedingt die Zeit, die der Rettungsdienst für die Fahrt braucht, sondern die Zeit, in der der Patient zu Hause überlegt, ob er die 112 wählen soll oder nicht.“
Klaus Gipper entschied sich gegen eine Reha und kam einem eigens gewählten Sportprogramm nach. „Ich wollte meine Genesung gerne selbst und individuell steuern“, erklärt er. Außerdem sei er mit dem bisherigen Verlauf nach diesem Morgen im Januar derart zufrieden, dass er positiv in die kommenden Monate blicke. Mit seiner Krankenkasse habe er auch über Programme zu „Besser Leben“ gesprochen und appelliert an Betroffene, sich hier zu informieren. (Quelle: Samstag, 14. Oktober 2023, Hersfelder Zeitung / Gesundheit)