Die Forschung geht immer weiter

Am heutigen Welt-Alzheimertag wird auf die Erkrankung der deutschlandweit 1,8 Millionen Betroffenen aufmerksam gemacht. Auch im Landkreis beschäftigt die Krankheit die Mediziner.

Hersfeld-Rotenburg – Während heute die Bundesregierung und viele Initiativen den Blick für einen Tag auf die Krankheit Alzheimer richten, ist es für den Neurologen und Leiter der Geriatrie am Klinikum in Bad Hersfeld, Dr. Axel Saure, ein weiterer Tag, an dem er mit den betroffenen Menschen arbeitet. Obwohl die Krankheit bisher als unheilbar gilt, kann Saure auch teils Entwarnung geben und ruft Pflegende dazu auf, in die Welt der Betroffenen einzutauchen.

Herr Saure, was passiert im Kopf eines Menschen, der an Demenz erkrankt ist?
Da gibt es eine biologische Ebene und eine medizinische, also die, die der Kranke merkt. Es gibt viele Arten von Demenz, die häufigste ist die Alzheimer-Demenz. Bei dieser Form entstehen schon Jahre bevor die Demenz selbst auftritt, Veränderungen an den Hirnzellen, sogenannte Amyloid-Plaques und Tau-Fasern, die für Probleme bei der Zellfunktion sorgen. Mit zunehmender Menge dieser Veränderungen fangen dann Verschlechterungen von Denkfunktionen an. Das bedeutet dann, dass z.B. Konzentration und vor allem Gedächtnis beeinträchtigt werden. Aber auch sprachliche Veränderungen sind möglich. Demenz nennt man es dann, wenn es länger besteht und das Alltagsleben verändert. Außer der Alzheimer-Demenz gibt es übrigens noch andere Demenz-Erkrankungen, z.B. durch Durchblutungsstörungen und andere, seltenere Ursachen.

Was sind erste Warnsignale? Was ist nur Vergesslichkeit und was sind schon Anzeichen einer schweren Krankheit?
Typisch ist, dass zuerst Störungen der Merkfähigkeit auftreten. Aber am Anfang ist es in der Tat schwierig auseinanderzuhalten, was Vergesslichkeit ist und was eine ernste Krankheit. Denn uns fällt allen immer mal ein Name nicht ein, das ist ganz normal. Aber wann geht es über das Normale hinaus? Wo man hellhörig werden sollte, ist, wenn man z.B. anfängt, sich mehr Zettel zu schreiben und Erinnerungsstützen braucht. Oder auch, wenn Dinge mehrfach gekauft werden. Es geht dabei um Fehler, die neu und ungewöhnlich sind. Wenn jemand Sorge hat, dass er oder sie Demenz hat, dann sollte man sich untersuchen lassen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass bei Menschen, die glauben, Demenz zu haben, das Befürchtete auch nicht selten eintritt. Man sollte den Wunsch nach Untersuchung dann ernst nehmen und unterstützen.

Kann der Hausarzt Alzheimer diagnostizieren?
Hausärzte können Tests machen, diese Tests sind aber nicht sehr sensibel, dabei kann auch noch alles gut aussehen, obwohl etwas im Argen liegt. In vielen größeren Städten gibt es spezielle Gedächtnis-Sprechstunden. Oder man lässt sich in unserer Neurologie untersuchen, dann gehen wir der Sache auf den Grund. Und jetzt kommt das Biologische: Wir können inzwischen durch Nervenwasser-Untersuchungen sogenannte Biomarker für die Alzheimer-Demenz feststellen. Dann wissen wir, ob ein Risiko besteht. Und es gibt noch einige Krankheiten, die aussehen wie eine Demenz, aber keine sind, und die man heilen kann, die dürfen nicht übersehen werden.

Was kann jeder Einzelne tun, um sich vor Alzheimer zu schützen? Oder das Risiko zu mindern?
Dazu gibt es gute Daten. Das mittlere Lebensalter, also so ab dem 50. Geburtstag, ist für ein später gesundes Altern mit entscheidend. So kann auch das Risiko einer Demenz-Entwicklung vermindert werden.

Jeden Tag also ein Kreuzworträtsel in der Zeitung machen, hält das ausreichend fit?
Kreuzworträtsel sind eigentlich unter dem Niveau. Außerdem trainiert man dabei nur altes Wissen, und gerade die neuen Dinge zu behalten, ist bei Alzheimer ein Problem. Sudoku ist aber super, weil man sich da konzentrieren muss. Man sollte sich vor allem viel bewegen, sportlich aktiv bleiben, soziale Kontakte pflegen, sich geistig betätigen, gesund ernähren und insgesamt sich aktiv den Herausforderungen des Lebens stellen. Selbst wenn man in sehr frühen Phasen einer Alzheimer-Erkrankung eine sogenannte leichte kognitive Störung aufweist, muss es nicht gleich heißen, dass man an Demenz erkrankt. Aber gerade dann sollte man auf seinen Lebensstil achten. Unser Gehirn ist eben wie ein Muskel, der trainiert werden muss oder seine Kraft verliert. Und Vorsorge für Demenz bedeutet auch genügend Schlaf. Es gibt Erkenntnisse, dass sich diese Amyloid-Plaques wieder etwas vermindern können, während man schläft.

Also ist auch nach einer Diagnose nicht alle Hoffnung verloren?
Nein, man ist damit nie verloren. Es ist eine Krankheit, die langsam voranschreitet, über Jahre. Und sie wird verlangsamt, wenn man in einem guten Lebenskontext bleibt. Aber es lässt sich nicht verhindern. Übrigens noch eine Sache zur Vorsorge: Wir brauchen Pausen.

Alzheimer lässt sich also ausbremsen, aber lässt er sich auch heilen?
Da kommen wir auf ein modernes Thema. Vorab: Heilen lässt es sich nicht, das muss man ganz klar sagen. Jetzt ist aber eine Antikörper-Behandlung immer wieder in den Medien, die in Großbritannien und den USA schon eine eingeschränkte Zulassung hat. In der Europäischen Union ist sie noch nicht zugelassen. Wenn die Therapie in frühen Krankheitsphasen verabreicht wird, dann werden durch die Antikörper diese Amyloid-Proteine im Gehirn abgebaut. Somit schreitet die Erkrankung langsamer voran.

Ist die Wunderwaffe also gefunden?
Das Problem ist, dass die Therapie bei den meisten Menschen nicht machbar ist. Bei dem Bruchteil, bei dem es möglich ist, da ist das Risiko von Nebenwirkungen erheblich. Es kann zu Hirnblutungen und -schwellungen kommen. Aus genau diesem Grund hat die Europäische Arzneimittelbehörde das Medikament noch nicht zugelassen. Aber das kann noch kommen. Die Forschung geht immer weiter. Vielleicht wird es irgendwann neue Antikörper geben, die weniger Nebenwirkungen auslösen. Das ist also noch Zukunftsmusik. Sollte es aber so weit kommen, wird Früherkennung um so wichtiger. Denn die Therapie funktioniert nur, wenn die Alzheimer-Demenz noch nicht weit fortgeschritten ist.

Gibt es heute mehr Alzheimer-Erkrankte als früher?
Man befürchtet schon, dass es häufiger wird. Deutschlandweit sind 1,8 Millionen Menschen betroffen. Die Leute werden immer älter und bekommen Alterskrankheiten. Aber es sind nicht nur Alte betroffen. Etwa 100 000 Patienten sind unter 65 Jahren alt. Auch Medikamente können Demenzsymptome verschlechtern. Zum Beispiel ältere Medikamente gegen Depressionen oder einige zur Unterstützung der Blasenfunktion sowie manche Schmerzmittel. Ärzte müssen darauf achten, auch Hausärzte wissen das.

Verändert eine Demenz den Menschen?
Jeder ist anders. Bei der Alzheimer-Demenz bleibt die eigene Persönlichkeit meist lange erhalten. Bis der Partner sagt: Mein Mann oder meine Frau hat sich verändert, ich habe den eigentlichen Partner nicht mehr, das ist ein langer Weg. Wer freundlich war, wird es lange bleiben. Sehr wichtig ist ein achtsamer Umgang mit den Erkrankten mit viel Geduld und vor allem Respekt. Menschen immer da abholen, wo sie stehen. Nicht korrigieren, wenn jemand schon verwirrt ist.

Also einfach mal in die Welt der Alzheimer-Erkrankten eintauchen, statt zu belehren?
Es gibt auch Leute, die feiern mit den Patienten im August Weihnachten, wenn die Überzeugung herrscht, dass jetzt Heiligabend ist. Das muss man ernst nehmen. Man sollte nicht stetig widersprechen. Viele Pflegekräfte üben auch deshalb diese sogenannte Validation. Aggressives Verhalten ist natürlich eine Herausforderung, aber das muss nicht bei jedem Patienten so sein. Und ich kenne es aus eigener Erfahrung im Privaten, dass man Entscheidungen, die der Betroffene mal gefällt hat, mit Liebe und Geduld durchsetzen muss. Auch das muss man lernen. Also wenn die Mutter früher entschieden hat: Wenn ich nicht mehr kann, will ich in ein Heim, aber später die Entscheidung vergessen hat. Da muss man abwägen: Was gilt von früher und was gilt jetzt. Das ist schwer, für Angehörige, aber auch für die Profis. Hier gibt es noch einmal einen wichtigen Punkt für die frühe Diagnose: In der Anfangszeit der Erkrankung ist man noch entscheidungsfähig, kann Bevollmächtigte und auch Lebensentscheidungen für späte Krankheitsphasen festlegen.

Wann wird eine Demenz gefährlich?
Bei einer Demenz kommt es häufig im Verlauf zu Gangunsicherheit, deshalb muss man zuhause schauen, dass man Stolperfallen entfernt und ein Hausnotruf eingerichtet ist, um Hilfe holen zu können. Aber auch in der Stadt muss man sich anschauen, ob die Infrastruktur für ältere Menschen und Menschen mit Demenz geeignet ist. Gibt es lange Ampelphasen, damit es die älteren Leute über die Straße schaffen? Die Wechselzeiten an den Ampeln sind zum Beispiel in der Dippelstraße viel zu kurz. Ist das Pflaster für gehbehinderte Menschen geeignet? Gibt es im Sommer kühle, schattige Orte? Gerade Demenz-Betroffene sind sehr hitzesensibel und brauchen besonderen Schutz. Frei zugängliche Trinkwasserspender sind wichtig.

 

ZUR PERSON

Dr. Axel Saure (61) kommt aus der Region Marburg, hat dort studiert und seine neurologische und geriatrische Fortbildung in Nordrhein-Westfalen absolviert. Seit 2005 lebt er in der Festspielstadt, und ist am Klinikum in Bad Hersfeld im Einsatz. Dort leitet er die Geriatrie und versorgt auch immer wieder Patienten, die an Demenz leiden. In diesem Zusammenhang hat er auch immer wieder auf rechtzeitige Vorsorgevollmachten aufmerksam.

 

HINTERGRUND

Angebote werden vielfältiger
Unterstützung bekommen Menschen beim Thema Demenz auch bei der Seniorenberatung Waldhessen unter der Telefonnummer 0 66 23/817 37 13. Ein Sportangebot, um fit zu bleiben, bietet das Familienzentrum Hohe Luft in Kooperation mit dem Betreuten Wohnen der Stiftung Hospital Bad Hersfeld an. (Kontakt: 06621/ 201774) Weitere Demenz-Projekte sind in Planung. So will der Landkreis Hersfeld-Rotenburg zusammen mit der VIA im kommenden Jahr ein Betreuungsangebot für Menschen mit Demenz bieten und sucht dafür ehrenamtliche Helfer. Vorwissen ist nicht nötig, die Helfer werden im Herbst dieses Jahres geschult. Infos unter: 06621/875313 oder d.klotzbach@hef-rof.de.  kmh (Quelle: HZ v. 21.09.2024, Kim Hornickel,Foto: klinikum bad hersfeld/nh)