Ein etwas holpriger Start ins Leben
Erst wenige Tage ist die kleine Freya heute alt. Eigentlich sollte sie bis zum Interviewtermin noch im schützenden Körper ihrer Mutter sein: Rund vier Wochen vor dem errechneten Geburtstermin erblickt das kleine Mädchen das Licht der Welt. Eigentlich ist sie damit schon ein spätes Frühchen, sodass die Ärzte zunächst keine Bedenken sehen. Nur wenige Minuten nach dem Kaiserschnitt entwickelt Freya jedoch ein Atemnotsyndrom und muss auf der Intensivstation behandelt werden.
Es ist die 36. Schwangerschaftswoche, in der Adrianna Zeller, Freyas Mutter, sich in die Notaufnahme begeben muss. Die 21-Jährige, für die es die zweite Schwangerschaft ist, ist sich instinktiv sicher, dass die starken Schmerzen behandelt werden müssen: „Zu diesem Zeitpunkt habe ich zwar noch gehofft, dass die Schwangerschaft nicht frühzeitig beendet werden muss, war mir aber eigentlich sicher, dass das kleine Mädchen noch heute auf die Welt kommen würde.“ Dies bestätigten die behandelnden Ärzten der jungen Mutter. Die Kaiserschnittnarbe aus ihrer ersten Schwangerschaft drohte, dem Druck des neuen Kindes nicht länger standzuhalten und war für die starken Schmerzen verantwortlich. Da die Rotenburgerin bereits in der 36. Woche ihrer Schwangerschaft war, entschied sich das Team gemeinsam mit der werdenden Mutter für einen Kaiserschnitt. Nur wenige Stunden später erblickte Freya das Licht der Welt. Damit galt das kleine Mädchen als Frühchen. „Aber eigentlich ein spätes Frühchen“, schmunzelt Adrianna Zeller heute.
Freya zeigt Anzeichen einer Anpassungsstörung
Der ungeplante Kaiserschnitt vor der 37. Schwangerschaftswoche trifft Adrianna Zeller und ihre Tochter entsprechend unerwartet. Da bis zu diesem Zeitpunkt die Schwangerschaft komplikationslos verlaufen war, gingen Ärzte und auch die junge Mutter selbst nicht von den Komplikationen aus, die sich einstellen sollten. „Sobald Anzeichen für eine frühere Geburt vorliegen, kann man über Maßnahmen nachdenken, die das Ungeborene besser auf diese Situation vorbereiten“, erklärt Roland Degener, Oberarzt an der Hersfelder Kinderklinik. Er hat Freya von ihrer Geburt an begleitet. Nur wenige Minuten nach der Geburt beginnt das kleine Mädchen, Anzeichen einer Anpassungsstörung zu zeigen. „Je früher ein Kind geboren wird, desto wahrscheinlicher ist ein Surfactantmangel. Mit entsprechendem Wissen um eine mögliche Frühgeburt kann man in frühen Schwangerschaftswochen mit einer sogenannten Lungenreife vorbeugen, wenn noch ausreichend Zeit bis zur Entbindung bleibt“, so Roland Degener. Surfactant, so der Kinderarzt, beschreibt eine Substanz, die die Oberflächenspannung der Lungenbläschen verringert. Vorstellen könne man sich das Wirkprinzip wie bei einem Luftballon: „Beim ersten Pusten in den Luftballon muss man deutlich mehr Kraft aufwenden, als bei den weiteren Luftzügen. Surfactant sorgt in der Lunge dafür, dass diese Anfangskraft reduziert wird.“ Bei Freya stellt sich im Verlauf heraus, dass ein solcher Mangel vorliegt, sodass es zu einem Atemnotsyndrom kommt.
Von dem bekommt ihre Mutter Adrianna zunächst nichts mit. Für den ungeplanten Kaiserschnitt ist in ihrem Fall aus medizinischen Gründen eine Vollnarkose notwendig. Erst ein paar Stunden nach der Geburt erfährt die Rotenburgerin, dass ihre Tochter sich mittlerweile auf der Früh- und Neugeborenenintensivstation befindet. Warum erklärt ihr Facharzt Roland Degener: „In einigen Fällen kann eine Atemhilfe noch im Kreissaal dabei helfen, dass sich eine Anpassungsstörung in den ersten etwa 30 Minuten nach der Geburt wieder legt und es nicht zu einem Atemnotsyndrom kommt – das ist die sogenannte Anpassungsphase für das Neugeborene. Da dies bei Freya leider nicht so war, wurde das kleine Mädchen auf die Früh- und Neugeborenenintensivstation hier im Haus verlegt.“ Dort kümmert sich der gebürtige Westfale weiterhin um seine Patientin. Obwohl sich hier bereits nach wenigen Stunden eine erste Verbesserung einstellte, verschlechterte sich der Gesundheitszustand von Freya über ihre erste Nacht noch einmal, sodass in den nächsten Tagen weitere Untersuchungen folgten. Schließlich wurde Freya das für sie wichtige Surfactant direkt über eine kleine Sonde in die Luftröhre gegeben (LI- SA-Verfahren). „Nach einer kurzen Zeit stellte sich daraufhin eine signifikante Verbesserung ein, sodass auch Freyas Mutter ihre Tochter nun endlich in den Arm nehmen konnte. Vorher war der Zustand des Neugeborenen nicht stabil genug. Seitdem macht die Patienten täglich Fortschritte, sodass sie das Klinikum schon bald verlassen kann“, so Degener. Bis dahin ver- bleibt die junge Patientin jedoch auf der Früh- und Neugeborenenintensivstation am Klinikum, wo sie von Kinderärzten und Kinderintensivschwestern rund um die Uhr betreut und überwacht wird.
Enge Überwachung auf der Früh- und Neugeborenenintensivstation im Klinikum
Auch Freyas Mutter erwartet gemeinsam mit ihrer älteren Tochter und ihrem Mann das neue Familienmitglied. Täglich besucht die Rotenburgerin ihre kleine Tochter im Hersfelder Krankenhaus: „Mir war zwar bewusst, dass mit einer Frühgeburt oftmals Probleme verbunden sind, allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, dass Freya noch zwei ganze Wochen im Krankenhaus bleiben muss. Natürlich ist sie hier bei den Ärzten besser aufgehoben, wenn noch einmal Komplikationen eintreten.“ Davon geht ihr behandelnder Arzt allerdings nicht aus, der sich gemeinsam mit der Mutter über die Fortschritte seiner Patientin freut. Anderen Müttern rät der Neonatologe (Früh- und Neugeborenenmediziner): „Es ist sicherlich nie falsch, auf die eigenen Instinkte zu vertrauen und bei Verdacht in einem solchen Fall die Notaufnahme aufzusuchen.“
Mittlerweile ist Freya zu Hause und lernt ihre restlichen Familienmitglieder kennen. An ihren holprigen Start ins Leben wird sie sich nicht erinnern. „Ich werde den Tag sicherlich nicht vergessen. Ich kann nur danke sagen, dass die verschiedenen Ärzteteams aus dem Kreissaal und der Neugeborenenintensivstation gut zusammengearbeitet und mich und meine Tochter so gut versorgt haben“, sagt Adrianna Zeller.
Kinder sind keine kleinen Erwachsenen
Team der Kinderklinik betreut Kinder vom ersten Lebenstag an bis zum 18. Lebensjahr
Der Alltag in der Kinderklinik im Hersfelder Klinikum ist vor allem eins: abwechslungsreich. Im Interview spricht Dr. Carmen Knöppel, Chefärztin, über die Besonderheiten auf der Kinderstation und die Bedeutung eines Allgemein- und Schwerpunktversorgers.
Frau Dr. Knöppel aktuell befinden wir uns in der alljährlichen Hochsaison von Infektionskrankheiten. Erst vor kurzem haben Sie über die Gefahren des RS-Virus informiert. Wie ist die aktuelle Situation auf den Stationen der Kinderklinik?
In den Wintermonaten typischerweise von Ende Oktober bis Februar haben wir in der Kinderklinik eine saisonbedingte Mehrbelegung aufgrund verschiedener Infekte. Das verlangt von uns eine hohe Bettenvorhaltung, um im Ernstfall eine erhöhte Anzahl an zumeist jungen Patienten (Säuglinge, Klein- und junge Schulkinder) aufnehmen zu können. In diesem besonderen Jahr war dies durch die Pandemie und die Rückkehr in „den Alltag“ etwas früher als sonst der Fall. Zudem behandeln wir eine Vielzahl von Kindern, die zu einer geplanten Diagnostik bei unterschiedlichen Fragestellungen bei uns aufgenommen werden oder auch chronisch erkrankte Patienten. Ein weiterer zentraler Bereich unseres Versorgungsspektrums ist die Behandlung von Früh- und Neugeborenen als Versorger mit perinatologischem Schwerpunkt (Perinatalzentrum Level 3). Daraus ergibt sich in der Gesamtheit der Patientenversorgung, dass es sich bei etwa 80 Prozent unserer Patienten um Notfälle und akute Infektionskrankheiten unterschiedlicher Ätiologie handelt.
D. h. in welcher Altersspanne betreuen Sie Kinder?
Zu unseren Patienten zählen bei Bedarf Kinder ab ihrem ersten Lebenstag oder sogar davor, d.h. dass wir schon vor der Geburt eines Kindes im Rahmen einer Pränatalberatung in der Geburtshilfe in den Kontakt mit den werdenden Eltern treten und erste Fragestellungen klären sowie einen Plan für die Zeit nach der Entbindung mit den Eltern besprechen. Unsere ältesten Patienten sind in der Regel 18 Jahre alt, danach erfolgt normalerweise die Transition in die Erwachsenenmedizin. Damit befassen wir uns nicht nur mit einer sehr großen Altersspanne, in der die Patienten sich stärker unterscheiden als zu jeder anderen Lebensphase, sondern auch einem breiten Spektrum an unterschiedlichsten Erkrankungen (z.B. Gelbsucht und Atemstörung des Neugeborenen, Bronchitis, Asthma, Allergien, Krampfanfälle, Kopf- und Bauchschmerzen bis hin zu chronischen Erkrankungen wie z.B. Rheuma oder Diabetes). Es existieren für die verschiedenen Altersgruppen und Krankheitsbilder besondere diagnostische Möglichkeiten. Als Kinderarzt sind wir zusammen mit dem speziell ausgebildeten Pflegeteam tagtäglich gefordert, uns individuell auf den Patienten, sein Alter, seinen Entwicklungsstand, sein Krankheitsbild und die Sorgen/Bedürfnisse seiner Eltern bzw. Begleitpersonen anzupassen. Um ein paar Beispiele aus dem Alltag zu nennen: Medikamente werden häufig als auf das Gewicht bezogene Säfte appliziert, weil jungen Kinder keine Kapseln oder Tabletten schlucken können. Auch der Aufwand für Blutentnahmen und Infusionsanlagen ist deutlich höher als bei Erwachsenen, da man dem Patienten kindgerecht erklären muss, was mit ihm passiert und warum. Man muss Ängste nehmen, Eltern beruhigen und häufig müssen die Kinder auch von Pflegekräften umsorgt und festgehalten werden. Gerade das Thema Mehr-Zeit, Vorhaltung und familienzentrierte Betreuung werden auch von den Kostenträgern und der Politik außer Acht gelassen, spielen aber eine zentrale Rolle im Alltag von Kinderärzten und Kinderkrankenschwestern.
Versorgen Sie die unterschiedlichen Krankheitsbilder und die verschiedenen Altersgruppen allesamt auf einer Station?
Im Grunde: Ja. Die Kinderklinik hält zwei unterschiedliche Stationseinheiten auf einer Ebene bzw. Station vor. Es gibt die neonatologische Intensivstation mit sieben Betten und 32 Betten auf der gegenüberliegenden Flurseite für alle anderen Kinder. Wir alle wissen, wie wichtig Wohl und sich geborgen fühlen für den allgemeinen Heilungsverlauf ist. Daher ist eine Unterbringung in kindgerecht eingerichteten Zimmern gemeinsam mit anderen - bestenfalls gleichaltrigen - Kindern und ggf. einer Begleitperson ein wichtiger Faktor. Auch gibt es auf der Station ein mit Spielsachen, Büchern und anderen Beschäftigungsmaterialien ausgestattetes Spielzimmer, wo sich nicht isolierte Patienten treffen und beschäftigen können. Die isolierten Kinder bekommen eine altersgerechte „Spielkiste“ ans Bett. An einigen Tagen in der Woche ist außerdem eine Pädagogin auf der Station, die mit den Kindern spielt oder bastelt und ein offenes Ohr für die Patienten und ihre Eltern hat. Wir sind in der überdurchschnittlich guten Lage, viele Fachdisziplinen im Klinikum zu vereinen, sodass die Kollegen aus anderen Fachdisziplinen (wie z.B. Kindertraumatologie, -urologie und der HNO) ihre Patienten bei uns auf der Kinderstation aufsuchen, visitieren und wir gemeinsam mit Blick auf den einzelnen Patienten mit seinem speziellen Krankheitsbild diesen interdisziplinär und ganzheitlich betreuen (z.B. kindgerechte Schmerzbehandlung/Infusionstherapie nach Operationen).
Gibt es auch Krankheiten oder Symptome, die nicht auf der Kinderstation versorgt werden können?
Auch hier muss ich mit Ja antworten. Für einige Fälle, wie beispielsweise Kinder mit einer Krebserkrankung gibt es deutschlandweit überregionale Schwerpunktkrankenhäuser, die sich gezielt mit den Erkrankungen des sehr speziellen Spektrums beschäftigen und diese Kinder nach GBA-Beschluss diagnostizieren und therapieren dürfen. Diese Kinder sind dann auch auf die speziellen Anforderungen (beispielsweise Isolationsmöglichkeiten oder Einzelzimmer) auf entsprechend kindgerechten Fachstationen untergebracht. Nichtsdestotrotz können wir auch in der hiesigen Hersfelder Kinderklinik bei Verdacht auf eine onkologische Erkrankung erste diagnostische Schritte bis zur Verlegung in ein zertifiziertes Zentrum veranlassen und durchführen – z.B. Blutuntersuchungen, Durchführen von Ultraschall- und Röntgenuntersuchungen. Durch das kooperative Chefarzt-Modell pflegen wir beiden Chefärzte regelmäßigen Kontakt zu Kollegen in den Universitätskliniken Gießen und Marburg und allen anderen kooperierenden Schwerpunktversorgern. Gemeinsam mit den Eltern wird entschieden, wo ihr Kind mit einer komplexen Erkrankung weiter betreut werden soll. Wenn es medizinisch vertretbar ist, finden auch heimatnahe Rückverlegungen und eine Mitbetreuung in Hersfeld statt.
Aktuell steigen die Corona-Zahlen wieder. Auch wenn dadurch momentan auf der Kinderstation keine steigenden Patientenzahlen zu verzeichnen sind, was empfehlen Sie den Eltern?
Ich glaube, dass der Weg zurück in die „Normalität“ – mit Betreuung der Kinder in Kitas, Kindergärten und Schulen neben dem Betreiben und Leben von Hobbies und anderen Freizeitaktivitäten - das allerwichtigste für die Kinder ist. Daher sollten Eltern mit ihren Kindern die zentralen Hygienemaßnahmen wie Händewaschen üben und auch Kuscheltiere und Spielsachen regelmäßig desinfizieren, damit mittelfristig ein weiterer Lockdown auch für die Kinder mit ihren speziellen Bedürfnissen in den verschiedenen Altersklassen in den verschiedenen Einrichtungen wie Kindergarten und Schule vermieden werden kann.
Hier finden Sie den Bericht aus der Hersfelder-Zeitung vom 29.01.2022