Erster Schultag für Emilia
Emilia Bachmann hat das sogenannte Noonan-Syndrom: Die heute 7-Jährige kam mit einem angeborenen Herzfehler zur Welt und ist im Sprechen und der Motorik beeinträchtigt. Ganz besonders aber überzeugt die junge Hersfelderin durch ihre offene, motivierte und vor allem „charmante“ Art. „Meine Kolleginnen im Frühförderzentrum und ich kennen Emilia seit ihrem 2. Lebensjahr. Sie hat uns alle bis heute mit ihrer wunderbaren Art um den Finger gewickelt“, so Simone Lohrey, Leiterin des Hersfelder Frühförderzentrums des Klinikums Bad Hersfeld. Mit der Einschulung im Herbst 2023 verlässt Emilia nun die Frühförderung.
Das Noonan-Syndrom wurde durch seine Entdeckerin Mitte der 1960er Jahre bekannt. Dabei handelt es sich um einen Gendefekt, der mit Entwicklungsstörungen einhergeht: So liegen verschiedene Fehlbildungen vor, von denen auch die Organe betroffen sein können. „Bereits in der 14. Schwangerschaftswoche hatte die Frauenärztin eine Auffälligkeit bemerkt. Emilias Herzfehler wurde kurze Zeit später diagnostiziert. Nach der Geburt konnten weitere Untersuchungen das Krankheitsbild näher eingrenzen“, so Nina Bachmann, Emilias Mutter. Kurz nach Emilias Geburt im August 2016 wird das Mädchen daher in einer Spezialklinik das erste Mal operiert: „Sie hat in dieser Operation eine künstliche Herzklappe erhalten. Ob während ihrem Leben weitere Operationen am Herz notwendig sein werden, wird sich schlichtweg zeigen.“ Erste Fördermaßnahmen konzentrierten sich darauf, alleine sitzen bzw. später gehen zu können und die Schluck- und Kaubeschwerden zu mindern, erinnert sich die Familie.
Schon früh entscheidet sich Emilias Mutter, selbst Lehrerin an einer Gesamtschule, dazu, verschiedene Angebote wahrzunehmen, die Emilia im Sprechen und Essen sowie der Motorik helfen. „Tatsächlich hätte Emilia aufgrund ihrer unmittelbaren Diagnose schon an ihrem ersten Lebenstag zu uns ins Frühförderzentrum kommen können“, erklärt Simone Lohrey, und weiter, „Emilia haben wir in ihrem zweiten Lebensjahr kennengelernt und seitdem vor allem im Bereich der Logopädie (Sprechen und Essen) und der Ergotherapie (Motorik) regelmäßig und über viele Jahre hinweg miteinander gearbeitet.“ Bis heute hat sich das empathische junge Mädchen so zum echten „Herzenskind“ der Mitarbeiterinnen entwickelt. Ganz besonders an Emilia, so Lohrey und Emilias Mutter beide, seien ihre hohe Motivation, ihre zugewandte und neugierige Art sowie ihre sehr guten kognitiven Fähigkeiten – wie beispielsweise Denk- und Merkfähigkeit. So habe sie sich früh mit vielen verschiedenen Worten ausdrücken wollen, die ihr aufgrund von Fehlbildungen im Mund-Rachen-Raum sehr schwer vielen. Im Frühförderzentrum hat sie deshalb gemeinsam mit Logopädin Annika Groh-Gollmer und Ergotherapeutin Anja Maier gebärden-unterstützte Kommunikation gelernt. Zu Hause wurden diese sprachunterstützenden Gebärden von der Familie und Sozialpädagogin Simone Lohrey umgesetzt. Sie begleitet die Familie im Rahmen der pädagogischen Frühförderung. „Noch heute nutzt Emilia hier und da die Gebärdensprache, wenn ihr ein Begriff nicht sofort einfällt“, schmunzelt Nina Bachmann. So schnappt das junge Mädchen sich während des Interviews auch selbst Zettel und Stift und wird von der Befragten selbst zur „Reporterin“.
„Man muss als Eltern natürlich ein Auge darauf haben, wie viel Unterstützung gut für das eigene Kind und auch die eigene Familie ist“, erzählt Nina Bachmann im Zusammenhang mit Emilias Hobbys. So geht die Siebenjährige auch zur Reittherapie und verbringt regelmäßig Zeit bei ihrem Vater. In das Frühförderzentrum, so berichtet Emilia selbst, sei sie immer gerne gegangen und wollte die Stunde nicht absagen. Simone Lohrey, die seit 2002 als Pädagogin tätig ist, sieht hier gleich zwei positive Effekte: „Natürlich kommen die Kinder gerne zu uns, wenn sie hier Spaß haben und ein gutes Verhältnis zu unserem Team aufbauen. Hinzu kommt aber, dass die Kinder merken, dass sie im Alltag besser klarkommen und das bestärkt sie auch darin, wirklich an sich selbst weiterzuarbeiten.“
Retrospektiv hat Emilias Mutter vor allem Dankesworte an das Team des Frühförderzentrums. So habe Emilia immer weiter Fortschritte gemacht, sei individuell gefordert worden und das über Jahre hinweg von gleichbleibenden Vertrauenspersonen. Dabei sei es besonders hilfreich gewesen, dass im Frühförderzentrum Logopäden, Pädagogen und Therapeuten Hand in Hand arbeiten und sich direkt untereinander austauschen. „Das gemischte Team hat letztendlich die Betreuung und Unterstützung für Emilia ausgemacht und war für mich als Ansprechpartner sehr wertvoll“, betont Nina Bachmann.
Hinzu kämen für die Eltern auch die Gespräche mit den Therapeuten und anderen Eltern, deren Kinder im Frühförderzentrum Angebote nutzen. „Wir sind heute auch in verschiedenen Gruppen unterwegs, teils Gruppen nur für das Noonan-Syndrom, teils mit Kindern mit anderen Beeinträchtigungen. Das ist ein großer Gewinn sowohl für Emilia als auch mich, weil wir von anderen lernen und Dinge erfahren können und ich mittlerweile auch anderen Mut zusprechen oder Tipps für den Alltag geben kann“, berichtet Nina Bachmann. Es sei ihr tatsächlich eine Herzensangelegenheit, so betont sie im Gespräch, andere Eltern, bei deren Kindern die Entwicklung ebenfalls individueller verlaufe, dazu zu ermutigen, Orte wie das Frühförderzentrum oder Familiengruppen aufzusuchen und sich auszutauschen: „Alleine zu Hause hilft einem niemand mit Sorgen und vielleicht auch Ängsten. Eltern, die in einer ganz ähnlichen Situation sind, können hier wirklich zu einer echten Stütze werden.“
In diesen Wochen hat Emilia ihren ersten Schultag in einer inklusiven Grundschule, auf den sie sich schon sehr freut. Gleiches gilt für ihre Mutter: „Emilia ist kognitiv sehr weit, sprudelt vor Ideen und hat Lust auf mehr. Die ganze Familie freut sich auf das neue Kapitel.“ Dazu wird sie in der neuen Schule individuelle Lernmöglichkeiten und Lernangebote erhalten.