Erwachsene allein mit ADHS

Chefärztin kritisiert begrenzte Zahl an Testverfahren

28. Oktober 2024 Hersfeld-Rotenburg – Es gleicht der Suche nach der Nadel im Heuhaufen: Wer als Erwachsener im Kreis Hersfeld-Rotenburg am Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom, kurz: ADHS, leidet, findet nur sehr schwer und mit viel Geduld professionelle Hilfe. Das zeigt eine Recherche unserer Zeitung, ist aber auch die leidvolle Erfahrung von Betroffenen wie Gudrun Neldner aus Hohenroda. Sie leitet mit ADHS Osthessen e.V. die seit vielen Jahren weithin einzige Selbsthilfegruppe in der Region, an die sich Erwachsene wenden können. Ihr Leidensweg war lang, der ihrer Mitstreiter ist es meist auch.

Erst seit Anfang Oktober gibt es neuerdings auch für den Werra-Meißner-Kreis eine Selbsthilfegruppe, die sich in Eschwege trifft. Eine der wenigen Anlaufstellen ist die psychiatrische Ambulanz des Klinikums Bad Hersfeld. Hierhin kommen Menschen mit und ohne eine ADHS-Diagnose, unter ihnen auch 18-Jährige, die als Kind diagnostiziert wurden und nun eine Anschlussbehandlung als Erwachsene benötigen. Obwohl offiziell keine Krankheit, wird ADHS als neurobiologische Störung aufgefasst, bei der es zu einem Ungleichgewicht von Botenstoffen wie Dopamin und Noradrenalin im Gehirn kommt. „ADHS wird zu den Verhaltens- und emotionalen Störungen eingeordnet“, so Chefärztin Dr. med. Beate Hahne. Bislang gelten Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität als typische ADHS-Merkmale, aber wie Hahne erklärt, fordert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) seit 2022 eine schrittweise Neuanpassung der Diagnostikkriterien, um unter anderem besser zwischen den Merkmalen unterscheiden zu können.

Hahne kritisiert auch, dass es in Deutschland nur eine begrenzte Anzahl an validen und standardisierten Testverfahren für ADHS bei Erwachsenen gebe, bei denen verlässliche Messergebnisse zu erwarten sind: „Da gibt es tatsächlich noch einen erheblichen Verbesserungsbedarf. Andere Länder sind da schon weiter in der Entwicklung.“ Indes sind Betroffene bei ihrer Suche nach Hilfe und Erfahrungswerten weiterhin vor allem auf jene angewiesen, denen es genauso geht. ADHS Osthessen e.V. hat sich wegen des großen Bedarfs bereits in mehrere Gruppen, darunter auch eine für Eltern, aufgesplittet und zieht Teilnehmer über die Kreisgrenzen hinaus an. Möglicherweise bietet die neue Eschweger Gruppe Entlastung.

„Deutlicher Anstieg der Anfragen“
Statistisch gesehen leben knapp 70,4 Millionen Erwachsene in Deutschland. Wenn wissenschaftlichen Schätzungen zufolge davon ein Anteil von 2,5 bis 4,7 Prozent ADHS aufweist, müssten demnach rund 1,76 bis 3,3 Millionen Erwachsene betroffen sein. Wie viele Männer und Frauen mit oder noch ohne Diagnose ins Klinikum Bad Hersfeld kommen, erfasst man dort nicht. „Deutlich ist jedoch, dass die Anfragen kontinuierlich und rapide ansteigen“, so Psychiatrie-Chefärztin Dr. Beate Hahne.(Quelle: HZ v. 28.10.2024,ELISABETH SENNHENN, FOTO: KLINIKUM)