Fahrradunfälle - von "Asphaltflechte" bis Rippenbruch
Sommerzeit ist Radfahrzeit. Ob beim gemütlichen Ausflug in der Gruppe, auf dem Weg zur Arbeit oder beim Downhillfahren im Wald: Vor Stürzen ist kaum jemand gefeit. Darüber, wie oberflächliche Verletzungen selbst behandelt werden können und wann auf jeden Fall ein Notruf abgesetzt werden sollte, haben wir mit Priv. Doz. Dr. med. Rüdiger Volkmann, Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie im Klinikum Bad Hersfeld, gesprochen.
Was sind die häufigsten Verletzungen?
Bei Fahrradstürzen sind vorwiegend der Kopf und die oberen Gliedmaßen, betroffen, sprich: gefährdet. Häufig sind laut Dr. Rüdiger Volkmann Handgelenks- oder Oberarmbrüche. Aber auch Rippenbrüche oder Brustkorbprellungen kommen immer wieder vor, etwa wenn der Betroffene auf den Rahmen oder den Lenker stürzt oder sich diesen in den Brustkorb stößt. Das kann auch zu inneren Verletzungen führen – zum Beispiel Blutungen an der Milz, wie Volkmann weiß. „Vor schweren Kopfverletzungen schützt definitiv ein Helm“, rät der Mediziner zur Vorsicht.
Wie oft hat die Klinik mit verletzten Radfahrern zu tun?
In der Hochsaison im Sommer kommen fast täglich Patienten in die Notaufnahme der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie, die sich bei Fahrradstürzen verletzt haben. Aber auch zum Jahreszeitenwechsel, wenn die Straßen feucht und deshalb glatt sind, häufen sich solche Fälle, berichtet Dr. Volkmann. Vom Kind bis zum Rentner, vom Sportler bis zum Alltagsradler, ist alles dabei. „Fahrradfahren ist oft auch noch möglich, wenn das Laufen schon schwerfällt“, sagt der Arzt mit Blick auf ältere Patienten, die jedoch nicht immer besonders sicher unterwegs seien. Auch die steigende Anzahl von E-Bikes könne die Zahl der Unfälle beeinflussen.
Wie sollten oberflächliche Blessuren, wie Hautabschürfungen, behandelt werden?
Oberflächliche Blessuren – in der Radfahrersprache augenzwinkernd auch Asphaltflechte genannt – können selbst behandelt werden. Der Experte rät, solche Wunden mit kühlem Wasser abzuspülen, ähnlich wie bei Verbrennungen, das reinigt und lindert Schmerzen. Nach der Reinigung sollte die Wunde dann verbunden werden, am besten mit einer Mullkompresse oder einem luftduchlässigem Pflaster. Von Sprühpflaster hält der Mediziner nicht viel, da der klebrige Film die Wunde luftdicht verschließt, was das Wachstum von Bakterien fördert. Wichtig für Freiluftsportler sei auch, den Tetanus-Impfschutz abklären beziehungsweise erneuern zu lassen, denn über Erde oder anderen Schmutz können Bakterien in den Körper eindringen. Wenn sich eine zunächst harmlose Verletzung entzündet, wird die Haut rot und die Wunde schmerzt. In solchen Fällen sollte der Arzt aufgesucht werden. Wunden im Gesicht entzünden sich übrigens selten, denn das Gesicht ist sehr gut durchblutet.
Was ist bei sehr starken Blutungen zu tun?
Wenn große Blutgefäße oder Arterien verletzt wurden, sollte man einen Druckverband anlegen, um den Blutverlust zu begrenzen. Den betroffenen Körperteil, wenn möglich, über Herzhöhe hochhalten. Bei großem Blutverlust kann es zu einem lebensbedrohlichen Schock kommen.
Was tun bei Verstauchungen oder Brüchen?
Äußere Verstauchungen, Prellungen und Brüche werden im Gegensatz zu inneren Kopf- oder inneren Organverletzungen in der Regel sofort bemerkt. Die betroffene Extremität am besten ruhig halten und notdürftig schienen. Ansonsten schießt mehr Blut als nötig in die betroffene Stelle, was die Weichteilschwellung lokal verstärkt. Kühlen ist laut Dr. Volkmann kein Fehler – Cool Packs oder Eis aber nie direkt auf die Haut legen, sonst drohen Erfrierungen.
Wann sollte ein Krankenwagen oder der Notarzt angefordert werden?
Nicht bei jeder kleinen Verletzung ist ein Rettungswagen notwendig, denn dieser ist kein besseres Taxi. Ist oder war das Unfallopfer aber bewusstlos oder sind die vitalen Funktionen ausgefallen oder drohen auszufallen, sprich: bei Atem- oder Herzstillstand, sollte sofort ein Notruf über die 112 abgesetzt werden. Dabei ist eine genaue Beschreibung des Ortes wichtig. Wer in unwegsamem, waldigem Gelände unterwegs ist, sollte über die ausgeschilderten Rettungspunkte Bescheid wissen. Auch Kopfverletzungen oder Verletzungen an den Augen sollten umgehend von einem Arzt begutachtet werden, ebenso wie große, offene Wunden sowie offensichtlich fehlstehende Extremitäten.
Was ist zu tun, bis Hilfe eintrifft?
Mit dem Verletzen zu sprechen, beruhigt diesen und hilft zudem seine Bewusstseinslage einzuschätzen. Die stabile Seitenlage verhindert bei Bewusstlosen das Verschlucken von Fremdkörpern oder der Zunge. „Immer gut ist es, den Verletzten warmzuhalten“, rät Dr. Volkmann. Denn bei Kälte beziehungsweise Kälteempfinden wird viel Blut unnötigerweise in die Peripherie gepumpt, was in Schocksituationen ungünstig ist. Für Radfahrer, die sehr oft, in der Gruppe oder auf gefährlichen Strecken unterwegs sind, ist ein Erste-Hilfe-Set ratsam.
Zur Person
PD DR. MED. RÜDIGER VOLKMANN (65 Jahre) ist seit 20 Jahren Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie im Klinikum Bad Hersfeld. Er ist in Gera geboren worden und hat in Jena studiert. Die unfallchirurgische Ausbildung erhielt er in Tübingen. Seine freie Zeit widmet er der Familie oder dem Garten. (nm)