Hätte Astrazeneca gewählt
Kennt sich auch mit Blutgerinnseln im Gehirn aus: Prof. Dr. Markus Horn, Chefarzt der Neurologie im Klinikum Bad Hersfeld, hier mit einem Modell eines menschlichen Gehirns. Foto: Nadine Maaz/archiv
Große Aufregung herrschte vor einer Woche, als die Bundesregierung für vier Tage die Corona-Schutzimpfungen mit dem Wirkstoff von Astrazeneca aussetzte. Grund für den Impfstopp waren laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sieben Fälle von Hirnvenenthrombosen – bei bislang 1,6 Millionen Spritzen. Einer, der sich im Landkreis besonders gut mit Verschlüssen von Gehirnvenen durch ein Blutgerinnsel und anderen Thrombosen auskennt, ist Professor Markus Horn. Er ist Chefarzt der Neurologie am Klinikum Bad Hersfeld. Wir haben mit ihm über die Blutgerinnsel und Astrazeneca gesprochen.
Herr Professor Horn, haben Sie den zwischenzeitlichen Impfstopp nachvollziehen können?
Ich habe schon gestutzt. Nach meinem Empfinden lag die Anzahl der Fälle zunächst nicht über dem normalerweise zu erwartenden Wert von Hirnvenenthrombosen. Grundsätzlich war die Aussetzung aber auch nicht falsch, weil Patientenschutz über allem stehen muss. Ob die Hirnvenenthrombosen tatsächlich in direktem Zusammenhang mit den Impfungen standen oder einfach nur zeitlich zufällig auftraten, ist noch zu klären, zumal in diesen Tagen weitere Fälle bekannt geworden sind.
Wie oft kommen Hirnvenenthrombosen vor?
Die Inzidenz von Hirnvenenthrombosen liegt zwischen vier und 40 Fällen bei einer Million Menschen pro Jahr. Sie ist also wesentlich geringer als bei Thrombosen allgemein. Dort liegt die Inzidenz bei etwa 1000 auf eine Million. Hirnvenenthrombosen treten vor allem bei Frauen im gebärfähigen Alter auf. Wenn man sich die Fälle genauer anschaut, fällt auf, dass zu den Risikofaktoren entweder die Anti-Baby-Pille zählt oder eine bislang nicht erkannte Thromboseneigung, die genetisch weitergegeben worden ist.
Grundsätzlich gefragt: Wie gefährlich sind Thrombosen?
Das kommt ganz darauf an, welche Blutgefäße betroffen sind. Thrombosen in den Bein- und Beckenvenen, die über 90 Prozent aller Thrombosen stellen, sind gefährlich, weil sich das Blutgerinnsel lösen und zu Lungenembolie führen kann.
Gibt es Lebensweisen, die eine Thrombose fördern?
Die Entstehung einer Thrombose wird beispielsweise durch zu wenig Flüssigkeitsaufnahme und durch zu wenig Bewegung begünstigt. Man kennt die Gefahr nach Langstreckenflügen, wenn man über einen längeren Zeitraum still auf der Stelle sitzt – dann ist der Blutfluss unzureichend und es können sich Thrombosen bilden. Aber auch Arzneimittel können das Risiko erhöhen, zum Beispiel wirken die Hormone der Anti-Babypille thrombosefördernd.
Im Internet kursierten kurz nach dem Impfstopp Vergleiche zur Pille. Dort hieß es, die Gefahr, wegen der Pille eine Hirnvenenthrombose zu bekommen, sei wesentlich höher. Und dass das bislang kaum jemanden interessiert habe. Hinkt dieser Vergleich?
Er hinkt insofern nicht, als dass die Pille das Risiko einer Thrombose, egal an welcher Stelle des Körpers, erhöht. Das gilt auch für Hirnvenenthrombosen. Das Thromboserisiko ist dann etwa siebenfach erhöht.
Jens Spahn sagte bei der Verkündung des Impfstopps, dass sich jeder, der sich mehr als vier Tage nach der Impfung unwohl fühle, Kopfschmerzen oder punktförmige Hautblutungen habe, unverzüglich einen Arzt aufsuchen solle. Haben sich deshalb im Klinikum Menschen gemeldet?
Allein in den vergangenen Tagen haben wir fünf Patienten vorgestellt bekommen mit dem Hinweis: Kopfschmerzen nach einer Astrazeneca-Impfung. Zum Teil kamen sie eigeninitiativ über die Notaufnahme, zum Teil wurden sie vom Hausarzt geschickt. Die Patienten waren teils so verunsichert, dass sie mitten in der Nacht darauf gedrängt haben, diagnostiziert zu werden.
Fünf Patienten in ein paar Tagen sind also viel?
Unverhältnismäßig viel. Wir behandeln jährlich ungefähr 30 000 Patienten im Klinikum, darunter zwei Hirnvenenthrombosen. Was wir momentan erleben, ist eine Entkoppelung von den bisherigen Erfahrungswerten.
Der Impfstopp dürfte nun auch nicht gerade dazu beigetragen haben, dass diese Verunsicherung sinkt.
Genau das ist das Problem. Was passiert denn psychologisch bei Menschen, die gerade mit Astrazeneca geimpft worden sind und dann überall lesen: Impfstopp! Natürlich sind sie verunsichert. Sorgen bereitet mir auch, dass ein wesentlicher Impfstoff wie der von Astrazeneca, der im Zuge dieses schleppenden Impfgeschehens auch von Hausärzten verimpft werden soll, so in Misskredit gerät. Er hatte ja schon vorher Startschwierigkeiten und Akzeptanzprobleme bei den ganzen Diskussionen um den Wirkungsgrad.
Sind Sie schon geimpft?
Ich bin bereits im Februar geimpft worden, ja. Allerdings mit Biontech/Pfizer. Astrazeneca war da noch nicht verfügbar.
Wenn Sie damals die Wahl gehabt hätten ...
... ich wusste, dass diese Frage kommt. (Lacht) Hätte ich die Wahl zwischen Biontech/Pfizer und Astrazeneca gehabt, hätte ich mich für Astrazeneca entschieden.
Warum das?
Astrazeneca ist ein Vektorimpfstoff. Dieser Typ ist schon seit längerem bekannt. Die mRNA-Wirkstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna sind hingegen völlig neue Impfstofftypen, die vor ihrer Zulassung über sechs Monate beobachtet worden sind, also über einen recht kurzen Zeitraum. Über mittelfristige und langfristige Auswirkungen wissen wir noch gar nichts. Deshalb müsste man diesen Impfstoffen eigentlich mit einer viel größeren Skepsis begegnen. (Quelle: Montagsinterview von Sebastian Schaffner)
Hier finden Sie den Bericht aus der Hersfelder-Zeitung vom 22.03.2021