Klinikum konkretisiert Pläne

Der geplante Radikalumbau des Klinikums Hersfeld-Rotenburg nimmt immer mehr Gestalt an. Im Interview mit unserer Zeitung haben die beiden Geschäftsführer, Rolf Weigel und Dr. Tobias Hermann, jetzt nähere Einzelheiten zu den geplanten Umstrukturierungen genannt. So sei nach fruchtbaren Gesprächen mit dem Kreiskrankenhaus (KKH) geplant, „eine kardiologische Station aufzubauen, aber kein Krankenhaus im Krankenhaus oder daneben“, sagte Weigel. Diese Kardiologie wäre dann Teil des KKH, die fachliche Expertise käme vom Klinikum. Dazu sei es wichtig, „Befindlichkeiten zwischen den unterschiedlichen Trägern hintenanzustellen“.

Das KKH wird vom Diakonieverein Berlin-Zehlendorf betreiben, Träger des Klinikums ist der Kreis. „Die Rivalität zwischen Hersfeld und Rotenburg muss aufhören“, mahnte auch Dr. Hermann. Gleichzeitig betonten beide Geschäftsführer, dass der Abbau teurer Doppelstrukturen das Hauptziel bleibe. Dennoch zeigten beide Geschäftsführer großes Verständnis für die Proteste in Rotenburg gegen die HKZVerlegung. Allerdings könne das Klinikum keine „Strukturpolitik“ machen, sondern habe die Aufgabe eine möglichst gute und bezahlbare medizinische Versorgung für den ganzen Kreis anzubieten. Konkretisiert wurden auch die geplanten Maßnahmen in Bad Hersfeld. So sollen zum Beispiel die Ambulanzen der einzelnen Fachkliniken zusammengelegt werden, um damit die Datenerfassung zu zentralisieren und Wartezeiten für die Patienten zu verkürzen. Außerdem soll die Bauchchirurgie in einem gemeinsamen Zentrum zusammengeführt werden. Im Bereich der Psychiatrie, die besonders unter dem Fachkräftemangel leidet, sei eine verstärkte Zusammenarbeit mit der psychosomatischen Klinik am Hainberg geplant.

„Befindlichkeiten müssen hintenanstehen“

MONTAGSINTERVIEW mit den beiden Geschäftsführern des Klinikums Hersfeld-Rotenburg

Der geplante Radikalumbau des Klinikums Hersfeld-Rotenburg und die vorgesehene Verlagerung des HKZ von Rotenburg nach Bad Hersfeld wird leidenschaftlich diskutiert. Mit den beiden Geschäftsführern des Klinikums, Rolf Weigel und Dr. Tobias Hermann, sprachen Sebastian Schaffner und Kai A. Struthoff.

Sie haben in einer gemeinsamen Erklärung mit dem Kreiskrankenhaus (KKH) angekündigt, in Rotenburg eine kardiologische Versorgung aufbauen zu wollen. Warum haben Sie das nicht gleich gesagt, das hätte viel Aufregung vermieden?
ROLF WEIGEL: Wir mussten zunächst die Entscheidungen unserer Aufsichtsgremien abwarten, um nun konkrete Szenarien mit unseren Partnern zu erarbeiten. Die Gesellschafter haben uns in Zusammenhang mit der Ein-Standort-Strategie klar damit beauftragt, mit dem Kreiskrankenhaus über die medizinische Versorgung zu reden. Ein Element davon ist die kardiologische Versorgung, über die wir jetzt erste Gespräche geführt haben. Wir haben dabei gemerkt, dass unsere Vorstellungen sehr nahe beieinander liegen, und wir werden deshalb auch noch über andere Themen miteinander reden.

War es von Anfang an Ihre Absicht, eine kardiologische Versorgung am KKH aufzubauen, oder reagieren Sie damit auf den Druck der Straße?
WEIGEL: Wir arbeiten für eine gute medizinische Versorgung in dieser Region, die auch bezahlbar ist. Generell gilt: Wir müssen Doppelstrukturen abbauen. Die Frage der kardiologischen Versorgung im Nordkreis ist aus meiner Sicht aber gemeinsam mit den Kollegen im KKH darstellbar.

Wie haben wir uns das als Laien vorzustellen? Gibt es dann einen Raum mit einem Herzkatheter in Rotenburg, der von Ärzten des Klinikums bedient wird?
DR. TOBIAS HERMANN: Es geht nicht allein um einen Katheter, denn das kardiologische Betätigungsfeld ist viel breiter. Um eine Herzinsuffizienz zu behandeln, braucht man keinen Katheter, wohl aber eine stationäre Betreuung. Wir wollen eine kardiologische Versorgung sicherstellen, ohne dabei neue, teure Doppelstrukturen aufzubauen. Dabei geht es dann auch um ambulante Angebote.
WEIGEL: Wir wollen am KKH eine kardiologische Station aufbauen, aber wir werden kein Krankenhaus im Krankenhaus bauen und auch nicht daneben. Eine solche Station wäre Teil des Kreiskrankenhauses, aber die fachliche Expertise käme vom Klinikum. Über Details müssen wir sprechen. Dabei reden wir über einen Zeitraum von drei bis vier Jahren. Dann soll die Akutmedizin in Rotenburg am HKZ eingestellt werden.

Bisher hatten ähnliche Gespräche mit dem KKH nicht zu einem Ziel geführt. Was hat sich jetzt geändert?
WEIGEL: Ich habe durch meine Tätigkeit in Eisenach gute, persönliche Kontakte zum KKH, zur Diakonie, auch zu Chefarzt Dr. Oechsner. Daran knüpfen wir an. Dass jeder Träger eine unterschiedliche Kultur und unterschiedliche Herausforderungen hat, ist klar. Es geht aber darum, miteinander einen Weg zu finden, unseren Auftrag der Gesundheitsversorgung für den ganzen Landkreis zu gestalten. Was für einen Träger richtig erscheint, sollte doch auch in einer Mehrträgerschaft funktionieren. Dabei müssen wir eine Struktur finden, bei der jeder wirtschaftlich bestehen kann. Das ist immer ein Geben und ein Nehmen.
DR. HERMANN: Die Gespräche mit dem Kreiskrankenhaus laufen schon eine ganze Zeit lang. Wir müssen und wollen Berührungsängste verlieren und darauf schauen, was für den Kreis am besten ist. Die Rivalität zwischen Hersfeld und Rotenburg muss aufhören.

Sie sind am Tag der großen Menschenkette mutigerweise nach Rotenburg gekommen, um Rede und Antwort zu stehen. Was ging da in Ihnen vor?
WEIGEL: Beschimpfungen und Drohungen in den sozialen Netzwerken, und Aufforderungen sich mit Eiern und Tomaten auszustatten, sind inakzeptabel. Es ist traurig, dass wir in Deutschland – und auch ganz konkret hier vor Ort – inzwischen so eine Streitkultur haben, die Verrohung ist erschreckend. Es ist aber zugleich gut und richtig, einen politischen Diskurs zu führen und konträre Meinungen auszutauschen. Aber wir müssen von persönlichen Angriffen wegkommen, die nur das Klima vergiften. Ich habe ohnehin das Gefühl, dass wir auf unterschiedlichen Ebenen kommunizieren. Ich muss natürlich auf Sachargumente setzen: Zahlen, Daten, Fakten. Und da bekommen wir großen Zuspruch für unseren Weg - sogar von den unmittelbar betroffenen Chefärzten. Ich verstehe, dass das Thema viele Bürger und Kommunalpolitiker vor Ort emotional sehr bewegt – zum Beispiel die persönliche Verbindung zum HKZ, die über Arbeit, Krankheit, aber auch Veranstaltungen vor Ort entstanden ist. Aber wir gehen den jetzigen Weg nicht aus Spaß, sondern weil das gesamte Klinikum und damit die gute Gesundheitsversorgung im Landkreis ansonsten auf dem Spiel steht.
DR. HERMANN: Ich kann die Gefühle der Rotenburger auch gut nachvollziehen: Erst nimmt man uns dies weg, dann das weg. Aber das Klinikum kann keine Strukturpolitik machen, wenn uns bescheinigt wird, dass die Verluste am HKZ Jahr für Jahr steigen werden. Wir sind als Geschäftsführer dazu da, die Geschäfte des Klinikums zu führen und die richtigen Entscheidungen für das ganze Unternehmen zu treffen.

Alle Entscheidungen basieren ja auf Empfehlungen der Gutachter von Curacon. Kritiker behaupten, das Gutachten stamme gar nicht von Curacon, sondern von Ihnen?
WEIGEL: Auch hier gilt: Die Geschäftsführung führt die Geschäfte, analysiert die Lage und macht natürlich auch Vorschläge. So auch in diesem Fall. Unsere Vorschläge wurden dann von den Gutachtern bewertet. So ist ein Gesamtgerüst entstanden, das medizinisch-inhaltlich vernünftig und wirtschaftlich darstellbar ist. Auch der Vorwurf, es handele sich um ein Gefälligkeitsgutachten, ist völlig absurd. Und natürlich sind die ins Auge gefassten Ziele sehr ambitioniert. Aber das müssen sie sein.

Können Sie schon etwas über eine Nachnutzung der HKZ-Immobilie sagen?
WEIGEL: Nein, dafür ist es noch zu früh. Eines ist doch aber klar: Das Klinikum ist der Eigentümer des Gebäudes, weshalb wir natürlich ein substanzielles Interesse daran haben, dass dieses Gebäude sinnvoll weitergenutzt wird. Deshalb muss in Rotenburg niemand die Sorge haben, dass wir dort ausziehen und uns nicht mehr um unsere Immobilie kümmern.

Im Moment liegt der Fokus stark auf Rotenburg, aber Sie haben auch Veränderungen am Klinikum in Bad Hersfeld angekündigt. Was ist dort geplant?
WEIGEL: Ein großes Thema wird die Bildung eines zentralen ambulanten Zentrums im Klinikum sein, wo zurzeit noch die einzelnen Fachkliniken im Haus verteilt ihre Ambulanzen haben. Das schafft in den Abläufen große Vorteile, wenn es nicht mehr 15 Anmeldungen im Haus gibt, sondern nur noch an einer Stelle die Patientendaten erhoben werden. Das betrifft auch die Terminvergabe, um Wartezeiten zu verkürzen. Auch die MVZ-Tätigkeiten sollen stärker konzentriert werden. Außerdem wollen wir die Bauchchirurgie in einem gemeinsamen Zentrum zusammenführen. Und wir müssen überall die Digitalisierung vorantreiben. Das ist bundesweit ein großes Thema. Es geht also weniger um drastische Einschnitte, sondern um eine Überprüfung aller Prozesse des Hauses.

Und was passiert mit der Psychiatrie?
DR. HERMANN: Aufgrund des besonders gravierenden Fachkräftemangels in diesem Bereich hatten wir überlegt, die Psychiatrie an einen externen Anbieter zu vergeben. Das hätte aber auch gravierende Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit, denn die Psychiatrie macht keine Verluste. Deshalb wollen wir nun das Zusammenspiel mit der psychosomatischen Klinik am Hainberg forcieren, um die Psychiatrie als Gesamtzentrum unter unserer Trägerschaft zu halten.

Vor dem Hintergrund der geplanten Umzüge, Umstrukturierungen und eines Neubaus am Klinikum für bis zu 150 Millionen Euro und der veralteten baulichen Strukturen: Wäre es da nicht einfacher, gleich ein neues Klinikum an zentraler Stelle zu bauen?
WEIGEL: Wenn man frei von zeitlichen und finanziellen Zwängen wäre, dann würde man sich mit dieser Idee sicher ernsthaft beschäftigen. Aber dafür bräuchte es acht bis zehn Jahre, um das umzusetzen. So lange können wir nicht warten. Außerdem würde ein neues Krankenhaus vermutlich 300 bis 400 Millionen Euro kosten und zudem müssten bis dahin auch die derzeitigen Verluste weiter kompensiert werden. Die dafür notwendige Finanzkraft hat leider keiner.

Im Landtag hat Finanzminister Boddenberg vor einigen Tagen gesagt, im Klinikum Hersfeld-Rotenburg sei „sehr, sehr viel schief gelaufen“. Sehen Sie das auch so?
WEIGEL: Diese Aussage stammt aus einer Landtagsdebatte und ist aus dem Zusammenhang gerissen. Wir würden uns freuen und bitten darum, dass sich unsere Landtagsabgeordneten in Wiesbaden konstruktiv für unser Klinikum einsetzen. In der Vergangenheit sind viele Dinge gut gelaufen und richtig gemacht worden. Allerdings ist man in manchen Punkten rückblickend immer klüger. Was jetzt mit dem Land zu klären ist, ist die Frage, wie es weiter geht. Dazu gibt es Gespräche auf Arbeitsebene, bei denen ich durch unseren Landrat Dr. Koch sehr gut unterstützt werde. Ich bin daher zuversichtlich, dass das Land unsere schwierige Situation erkennt und uns zur Seite steht.

Dabei ist das Land doch auch selbst in der Verantwortung?
WEIGEL: Das stimmt. Ursprünglich kamen 50 Prozent der Fördermittel vom Land und 50 Prozent vom Bund. Dann zog sich der Bund zurück, aber das Land Hessen hat den wegfallenden Bundesanteil der Krankenhausfinanzierung nicht ausgeglichen. Dieses Geld fehlt. Ich will hier aber nicht das Land anklagen. Geld ist immer Mangelware. Jeder fordert gutbegründet sein Recht ein, aber es können eben nicht alle bedient werden.

ZUR PERSON
Rolf Weigel (56) wurde in Gießen geboren und ist studierter Betriebswirt. Er verfügt über lange Erfahrung im Gesundheitswesen. Er hat bei den Agaplesion-Kliniken (Heidelberg, Stuttgart, Ulm) und dem St. Georg Klinikum in  Eisenach gearbeitet. Zuletzt war er Geschäftsführer der Thüringen Kliniken in Saalfeld. Seit dem 1. Juli ist Weigel als Geschäftsführer des Klinikums Hersfeld-Rotenburg und Nachfolger des in den Ruhestand getretenen Martin Ködding. Er bildet eine Doppelspitze mit Dr. Tobias Hermann. Weigel ist Vater dreier erwachsener Kinder, verheiratet und lebt in Eisenach.

Dr. Tobias Hermann (52) ist gebürtiger Schwabe. Neben einem Medizinstudium und der Facharztausbildung zum Herzchirurgen schloss er den Studiengang Health Care Management mit einem Masterabschluss ab. Seit 2017 ist er medizinischer Geschäftsführer des Klinikums. Davor war er am Klinikum Augsburg beschäftigt, wo er für die Leitung der Medizinentwicklung, des zentralen Projektmanagements und der Geschäftsstelle des Ärztlichen Vorstands zuständig war. Dr. Hermann ist verheiratet

Quelle: Foto:Sebastian Schaffner, Text: Kai Struthoff

Hier finden Sie den Bericht aus der Hersfelder Zeitung vom 28.09.2020

Klinikum Hersfeld-Rotenburg konkretisiert Pläne