Klinikum kritisiert Jens Spahn
Das Klinikum Hersfeld-Rotenburg übt scharfe Kritik an den seit einem Jahr geltenden Personaluntergrenzen für pflegeintensive Krankenhausabteilungen. Dr. Tobias Hermann, medizinischer Geschäftsführer des kommunalen Klinikverbundes, bezeichnet den Vorstoß von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) als „absurd“. Seit einem Jahr müssen Krankenhäuser in Deutschland für die Unfallchirurgie, Intensivmedizin, Geriatrie und Kardiologie eine bestimmte Anzahl von Pflegekräften vorweisen. Seit diesem Jahr sind die Vorgaben für die vier Bereiche verschärft geworden und vier neue dazugekommen: Herzchirurgie, Neurologie sowie neurologische Schlaganfalleinheit und neurologische Frührehabilitation.
Allein 2019 hat der Klinikkonzern durch die Verordnung rund 1,9 Millionen Euro für zusätzliche Honorarpflegekräfte ausgeben müssen, heißt es auf Nachfrage. Hermann kritisiert vor allem, dass die Untergrenzen starr seien und nicht dem tatsächlichen Patientenaufkommen angepasst werden könnten. „Wenn auf einer Station nach den Vorgaben drei Pflegekräfte anwesend sein müssen, ihre Patienten aber so fit sind, dass sie kaum Betreuung brauchen, und in einem anderen Bereich aber schwer kranke Menschen besonders viel Pflege benötigen, dürfen wir keinen der drei rüberschicken. Das ist absurd.“
Ohnehin seien die Untergrenzen nichts anderes als eine „politisch gewollte Konsolidierung durch das Hintertürchen“, vermutet Hermann. Die Vorgaben führten wegen des Fachkräftemangels dazu, dass Krankenhäuser erst Betten abmelden und dann Abteilungen schließen müssten. „Wenn Herr Spahn das möchte, muss er auch den Mut haben und sagen, welche Häuser nicht mehr gewollt sind.“ Im Ministerium sieht man die Neuregelung aus einem anderen Blickwinkel: Krankenhäuser und Krankenkassen hätten es nicht geschafft, selbst Personaluntergrenzen festzulegen. „Dieses Versagen der Selbstverwaltung erfordert unser Handeln zum Schutz der Patienten und Pflegekräfte“, sagte Jens Spahn bei der Einführung der Verordnung. „Die Unterbesetzung von intensivmedizinischen Abteilungen im Krankenhaus kann fatale Folgen für Patienten haben.“ Hermann hält dagegen: „Eine Politik, die es in Kauf nimmt, dass irgendwann Abteilungen im Landkreis schließen müssen, gefährdet Menschenleben.“ Wer sich nicht daran hält, kriegt weniger Geld. Seitdem die Personaluntergrenzen gelten, müssen die Krankenhäuser laut Bundesgesundheitsministerium für die einzelnen Monate Durchschnittswerte der Personalbesetzung ermitteln und dabei zwischen verschiedenen Stationen und Schichten differenzieren. Unabhängige Wirtschaftsprüfer oder Buchprüfer müssen die Einhaltung der Untergrenzen bestätigen. Kliniken, die sich nicht an die Vorgaben halten, müssen Vergütungsabschläge hinnehmen. „Gut gemeint, schlecht gemacht“, so bewertet Michael Gottbehüt, Pflegedirektor des Klinikums, die neuen Pflegepersonaluntergrenzen. Seit einem Jahr gilt die von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn initiierte Verordnung für vier pflegeintensive Krankenhausabteilungen. Seit Anfang des neuen Jahres müssen Krankenhäuser in vier weiteren Bereichen eine Mindestanzahl an Pflegekräften vorhalten.
„Eigentlich sollte die Verordnung die Patientenversorgung verbessern, doch das Gegenteil ist der Fall“, sagt
Gottbehüt. „Starre Personaluntergrenzen sind nicht geeignet, den täglich variierenden individuellen Pflegebedarf eines Patienten angemessen zu berücksichtigen.“ Krankenhäuser seien nun gezwungen, die Personalbesetzung tagesaktuell nach den Patientenzahlen steuern. „So wird eine Lücke gestopft und an anderer Stelle ein noch größeres Loch in die Personaldecke gerissen.“ Durch den leer gefegten Arbeitsmarkt sei der kommunale Klinikkonzern, der 1000 Mitarbeiter in Pflegeberufen beschäftigt, darauf angewiesen, Honorarpflegekräfte von Leiharbeitsfirmen zu verpflichten, um die Vorgaben einzuhalten. Das Klinikum Bad Hersfeld hat nach eigenen Angaben, nur um die Verordnung umsetzen zu können, im vergangenen Jahr 12 000 Arbeitsstunden von externen Pflegern im Wert von 1,1 Millionen Euro einkaufen müssen, das HKZ 8500 Stunden (770 000 Euro). Eigentlich sollte die Verordnung die Patientenversorgung verbessern, doch das Gegenteil ist der Fall. Um der hohen Personalnachfrage gerecht zu werden, hat das Klinikum zudem jüngst sämtlichen Absolventen des Krankenpflegekurses der klinikumseigenen Ausbildungsschule ein Übernahmeangebot unterbreitet. Grundsätzlich seien Personaluntergrenzen in der Pflege sinnvoll, sagt Gottbehüt. „Aber nicht so, wie sie gemacht wurden.“ Er fordert „bedarfsorientierte Personaluntergrenzen und ein pflegewissenschaftlich fundiertes Personalbemessungsinstrument“. Zudem sollte sich die Politik dafür einsetzen, dass der Pflegeberuf wieder an Attraktivität gewinnt, etwa indem Pflegekräfte nicht so viel Zeit für Bürokratie aufwenden müssten. „Pfleger wollen pflegen, nicht dokumentieren“, sagt Gottbehüt.
Die Gesundheitsminister der vergangenen 15 Jahren hätten viel verkehrt gemacht mit ihrer Maxime „Profit statt Mensch“. „Es ist höchste Zeit, dass die Politik gegensteuert, sonst droht ein Systemkollaps.“
Hier finden Sie den Bericht aus der Hersfelder-Zeitung vom 14.01.2020