Kunstherz rettet Leben eines jungen Vaters
Er flüchtete zweimal vor Kriegen, dann musste ihm in Deutschland das Leben gerettet werden:
Dem Syrer Tarek Masri Mukaled wurde im Januar am Herz- und Kreislaufzentrum Rotenburg (HKZ) ein Kunstherz eingesetzt. Sonst wäre der 28 Jahre alte Vater zweier Kleinkinder gestorben.
Masri Mukaled ist 2012 vor dem Krieg in seiner Heimat nach Libyen geflohen. Doch Anfang Oktober 2015 wurde auch dort sein Haus zerstört und er machte sich mit seiner Familie auf den Weg nach Deutschland. Schon da litt der junge Mann unter Herzproblemen. Sie wurden nach seiner Ankunft so schlimm, dass er in die Uni-Klinik Marburg eingewiesen wurde. Dort wurde Masri Mukaled nach einer Lungenentzündung an eine mobile Herz-Lungen-Maschine angeschlossen, mit der er im Januar ans HKZ verlegt wurde. Ein Team um Herzchirurgie Dr. Jürgen Graff setzte ihm ein „linksventrikuläres Unterstützungssystem“ ein – eine Pumpe, die das Herz bei der Versorgung des Körpers unterstützt. Das hat Masri Mukaled das Leben gerettet, sagt Graff.
Die Behandlung hat bislang etwa 200 000 Euro gekostet. Da Asylbewerber nicht krankenversichert sind, muss der Kreis Gießen, wo Masri Mukaled gemeldet ist, die Kosten übernehmen. Dabei spielt sein Aufenthaltsstatus keine Rolle. Wie bei Auftragsleistungen der Krankenkassen wird nur nach medizinischer Notwendigkeit entschieden. „Es werden alle medizinischen Leistungen übernommen, wenn es sich um eine akute Erkrankung handelt“, erklärt Pressereferent Oliver Keßler.
Inzwischen geht es Masri Mukaled wieder so gut, dass er in diesen Tagen in eine Reha entlassen werden soll. Für sein Kunstherz muss er nun ständig eine Tasche mit Steuergerät und Batterie bei sich tragen. Er ist jung genug, dass er Aussichten hat, auf die Liste für ein Spenderherz zu kommen, sagt Chirurg Graff.
Die letzte Überlebenschance
„Ich habe viel über den Tod nachgedacht“, sagt Tarek Masri Mukaled. Der 28 Jahre alte Syrer sitzt auf seinem Krankenbett im Herz- und Kreislaufzentrum. Obwohl er Sauerstoff durch zwei Nasenschläuche atmet und seine Beine noch stark geschwollen sind, macht er einen lebendigen, fröhlichen Eindruck. Dabei wäre er vor drei Monaten fast gestorben. Als Masri Mukaled vom Uni-Klinikum Marburg ans HKZ verlegt wurde, sah es nicht gut für ihn aus. „Mir wurde gesagt, dass ich nur eine sehr geringe Überlebenschance habe“, erklärt er mittels eines Übersetzers. Er war bereits an der Lunge operiert und an der Leiste war eine „Extrakorporale Membranoxygenierung“ (ECMO) angeschlossen, eine Art mobile Herz-Lungen-Maschine, die die Arbeit dieser Organe übernahm.
Das Kunstherz, das ihm am HKZ implantiert wurde, war seine letzte Überlebenschance, berichtet Oberarzt Dr. Jürgen Graff. Mit einem großen Team aus Herzchirurgie und Anästhesie nahm er die Operation vor, doch bevor das „Linksherzunterstützungssystem“ eingesetzt werden konnte, musste Graff zunächst die Trikuspidalklappe zur rechten Herzkammer reparieren. Sonst hätte das schwache Organ auch mit Kunstherz nicht ausreichend gearbeitet. Die Operation verlief gut. „Man hat gleich gemerkt, dass es ein erfolgreicher Eingriff war“, sagt Graff. Trotzdem waren in den kommenden Wochen noch zwei weitere Operationen notwendig. Sonst hätte Tarek Masri Mukaled nach einer schweren Infektion womöglich noch sein Bein verloren. Doch auch das konnte gerettet werden. „Die Wundbehandlung durch Verbandsschwester Barbara Pawelkiewicz hat trotz der Infektion ein exzellentes Ergebnis gebracht“, sagt Graff.
Die Betreuung des syrischen Flüchtlings hat alle Beteiligten am HKZ besonders gefordert. Eine Verständigung war nur per Übersetzer möglich. Trotzdem hätte es ihm nie an etwas gemangelt, sagt Masri Mukaled: „Ich bin Gott und den Deutschen dankbar, dass sie mir geholfen haben.“
Kooperative Behörde
Etwas besonderes war der Fall auch für den Sozialdienst des HKZ, der mit dem Kostenträger verhandeln musste, in diesem Fall keine Krankenkasse, sondern der Kreis Gießen. „Die Behörde war sehr kooperativ, trotz der hohen Arbeitsbelastung durch viele Asylfälle“, sagt Isabell Ehrentheit, die den Fall betreut hat. Gemeinsam mit Arztassistent Lars Raabe hätten die medizinischen Notwendigkeiten überzeugend erklärt werden können. Nun steht für Tarek Masri Mukaled eine Reha an. Sein Kunstherz kann nach bisherigen Erfahrungen zehn oder mehr Jahre halten. Der junge Syrer hat gute Chancen, auf die Liste für ein Spenderherz zu kommen, sagt Graff. Allerdings werden in Deutschland jährlich nur etwa 290 Herzen transplantiert – der Bedarf beträgt bis zu 1000 Organe. Es gibt sogar noch eine andere kleine Chance für Tarek Masri Mukaled: Es könnte sein, dass sich sein Herz so weit regeneriert, dass es wieder ohne Unterstützung arbeitet.
Linksherzunterstützungssystem
Was populärwissenschaftlich Kunstherz heißt, ist in der Regel ein Linksherzunterstützungssystem (Left Ventricular Assist Device, kurz: LVAD). Das Gerät des US-Herstellers Heart Ware, das Tarek Masri Mukaled am HKZ eingesetzt wurde, unterstützt die linke Herzkammer bis hin zur vollständigen Übernahme ihrer Funktion, erklärt Herzchirurg Dr. Jürgen Graff. Eine Pumpe (1) saugt Blut aus der Herzkammer (2) an und speist es über einen Schlauch (3) in die Hauptschlagader (Aorta, 4) ein. So wird der Körper mit Blut versorgt. Alle mechanischen Teile sind direkt im Brustkorb implantiert, nur das Steuergerät mit Batterie, das etwa die Größe einer Handtasche hat, muss der Patient immer mit sich tragen. Es ist über ein Kabel (5) mit dem LVAD verbunden. Am HKZ wurden schon vor 15 Jahren die ersten Kunstherzsysteme implantiert. Seit 2012 macht die Herzchirurgie die Operation regelmäßig, jährlich etwa ein halbes Dutzend Mal. (mcj)