Landkreis kommunalisiert private Klinik
Es gibt sozialdemokratische Landräte, die fragen den jungen christdemokratischen Landrat von Hersfeld-Rotenburg, Michael Koch, ob er „irre“ sei. Sie, die Fragenden, haben „etwas dazugegeben“, damit ein privater Investor ihnen ihr kommunales Krankenhaus abnahm. Koch hingegen investiere öffentliche Mittel in die Kommunalisierung des bisher privaten Herz-Kreislauf-Zentrums (HKZ) in Rotenburg an der Fulda, und dies obendrein als Christdemokrat. Koch weiß, dass er ordnungspolitisch nach dem klassischen Schema, das etatistische von freiheitlichen Parteien scheidet, in die falsche Richtung läuft. Politisch ist es aber für ihn die einzig richtige.
Der Landkreis Hersfeld-Rotenburg übernimmt das bisher privat betriebene HKZ von der Pergola-Gruppe, einer Gesellschaft mit zahlreichen Einzelinvestoren, zu einem geringen Preis. Kaufpreis, die Übernahme der Schulden, die auf dem Haus lasten, und die notwendigen Mindestinvestitionen in das Zentrum summieren sich auf etwa 100 Millionen Euro. Das HKZ kommt damit unter das Dach des Klinikums Hersfeld, das seinerseits eine neue interne Organisationsstruktur erhält, um schlagkräftiger zu werden. Der neue Direktor der Servicesparte für die Bereitstellung von Waren und Dienstleistungen, sagt Koch, komme von Amazon, der neue Pflegedirektor aus Fulda und der neue Finanzdirektor aus Karlsruhe. Perspektivisch wünscht sich Koch das Kreiskrankenhaus in Rotenburg, der früheren Kreisstadt eines einst eigenständigen Kreises Rotenburg, hinzu. Das Gebäude in Rotenburg gehört dem Landkreis Hersfeld-Rotenburg, aber Träger des Hauses ist derzeit die Diakonie in Berlin-Zehlendorf.
Allein schon das neue Klinikum mit den Standorten in Hersfeld und dem HKZ in Rotenburg ohne Kreiskrankenhaus Rotenburg setzt etwa 200 Millionen Euro im Jahr um, hat 2700 Mitarbeiter, darunter 300 Ärzte, und behandelt 40 000 Patienten im Jahr stationär sowie 60 000 ambulant.
Der Geschäftsführer des Klinikums Hersfeld, Martin Ködding, sieht sich damit „auf Augenhöhe“ mit Kassel und Fulda. Der Beweis dessen wäre freilich erst noch zu erbringen, aber die Fusion zeigt den Willen, mit dem kommunale Eigentümer allenthalben den harten Überlebens- und Positionierungskampf in der Gesundheitsversorgung führen, in dem die Geschichte – von der Reformation an über den Dreißigjährigen Krieg bis zu den Demütigungen der Gebietsreformder siebziger Jahre – wieder wachzuwerden scheint. Es stehen Protestanten gegen Katholiken und Rotenburger, die nach Kassel tendieren, gegen Hersfelder, die mit ihrer einst mächtigen Abtei vom Mittelalter an selbst politisches Gewicht hatten. Darüber wölbt sich – offenbar weit entfernt vom Denken und Empfinden der Bürger in historisch gewachsenen Strukturen – der Plan des Sozialministers Stefan Grüttner (CDU) einer Hessen-Holding für öffentliche Krankenhäuser.
Eingedenk seiner ordnungspolitischen Volte, die Koch mit der Kommunalisierung eines privaten Hauses schlug, schildert er die Ausgangslage, in die er vor gut einem Jahr als Landrat gewählt wurde. Das HKZ war in den siebziger Jahren in Zeiten der Zonenrandförderung und ihrer speziellen Abschreibungsmöglichkeiten von einer Investorengruppe aus der Region errichtet worden, als Deutschland bei Herzoperationen im Vergleich zu anderen Ländern einen Rückstand aufzuholen hatte. Seither ist die Zeit nicht stehengeblieben. Die Zonenrandförderung ist längst Geschichte, während sich die Methoden und die Vergütungsstrukturen in der Medizin gewandelt haben. Indes haben die Kassen die Leistung des HKZ auf ihre Weise zu nutzen verstanden. Das HKZ operierte mehr Patienten, als mit den Kassen vereinbart. Diese nahmen die medizinische Spitzenleistung für ihre Versicherten gern entgegen, stellten aber dem HKZ den – rechtlich so vorgesehenen – Mehrerlösausgleich in Rechnung. Wenn ein Krankenhaus mehr leistet, als vereinbart war, wird es mit Abschlägen bestraft. Das zwang das HKZ 2001 in die Insolvenz, und nun wäre es beinahe wieder so weit gewesen. Als Retter stand neben dem Klinikum Hersfeld dem Vernehmen nach auch die Rhön-Klinikum AG bereit. Wäre Rhön eingestiegen, argumentiert Koch, wäre es zu einem Kampf auf dem lokalen Patientenmarkt mit dem Klinikum Hersfeld gekommen, auf dem der private Konzern, nach dem Verkauf zahlreicher seiner Häuser an Helios, mit einer gut gefüllten Kriegskasse im Vorteil gewesen wäre. Womöglich hätte am Ende auch das kommunale Krankenhaus gewackelt. Das HKZ wiederum der Gefahr auszusetzen, mit seinen Arbeitsplätzen für hochqualifizierte Mitarbeiter und einer beachtlichen Lohn- und Gehaltssumme in die Insolvenz zu laufen, wäre politisch tödlich gewesen.
Also setzte sich Koch ein Ziel: die Übernahme des HKZ und Verhandlungen um die Kreiskliniken in Rotenburg mit der Diakonie, um die Gesundheitswirtschaft im Kreis zu stärken, ein passendes Versorgungsangebot im demographischen Wandel zu bieten und sich rechtzeitig – zwischen den Mitbewerbern in Kassel und Fulda – für die Hessen-Holding zu positionieren, wenn diese je kommen sollte. Während das alte Klinikum Hersfeld eine schwarze Null schrieb, schloss das HKZ bisher mit einem Defizit von drei bis vier Millionen Euro ab. Längst befand es sich aber „im freien Fall“, wie es im Landkreis heißt. Einstweilen verloren sind auch zahlreiche Auslandskunden, die sich früher aus Russland und arabischen Staaten zur Behandlung nach Rotenburg begeben hatten. Die Wirtschaftskrise in Russland und die politischen Unruhen in der arabischen Welt wirken sich eben auch in Hessen aus.
Ziel des neuen Kreisklinikums muss es also sein, das HKZ zu stabilisieren, die Spitzenmedizin, die bisher international für Patienten attraktiv war, zu erhalten und die Leistungen des Hauses international, national und regional publik zu machen. Einsparungen durch die Umfinanzierung teurer Darlehen des HKZ, durch steuerliche Optimierung und die bessere Abstimmung der medizinischen Leistungsangebote im Kreis könnten helfen, die wirtschaftliche Lage des neuen, großen Klinikums rasch zu bessern. Nach drei Jahren, erwartet Koch, „wollen wir es wirtschaftlich hinbekommen“. Die privaten Klinikkonzerne schafften die Wende binnen eines Jahres, sagt Koch. „Warum schaffen das die Kommunalen eigentlich nicht auch?“ Diese Frage wird sich Koch durchaus selbst stellen. Aber die Antwort lässt er einstweilen offen. (Quelle:"Frankfurter Allgemeine Zeitung, Dienstag, 26. April 2016, Nr. 97, S.37 "© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv".