Magen wird zum Schlauch

Joachim Rudolph wurde mit Schlüsselloch-OP die Speiseröhre entfernt

Krebs an der Speiseröhre ist nicht besonders häufig. Aber wenn die etwa 25 Zentimeter lange Verbindung
zwischen Mund und Magen oder ein Teil von ihr wegen eines Tumors entfernt werden soll, müssen viele Patienten auch heute noch mit einer großen, belastenden Operation rechnen. Doch es geht auch durchs „Schlüsselloch“ – die Mediziner sprechen von „minimalinvasiv“, was soviel bedeutet wie Operieren mit kleinsten Schnitten.

Am Klinikum in Bad Hersfeld operiert Privatdozent Dr. Peter Vogel die Patienten mit einem Tumor an der Speiseröhre nur noch minimalinvasiv. Dazu sind lediglich vier kleine Schnitte zwischen fünf und 12 Millimetern Länge notwendig, erläutert der Mediziner. Durch diese Zugänge werden die Instrumente eingeführt: Verschiedene Katheter und eine winzige Kamera. Auf einem Monitor kann er dann sehen, was zu tun ist. Der betroffene Teil der Speiseröhre, bisweilen auch das ganze Organ, werden entfernt – ebenfalls durch einen kleinen Zugang. Man müsse darauf achten, auch die Lymphknoten sorgfältig zu entfernen, betont der Chirurg. Aus dem etwa faustgroßen Magen bildet er anschließend einen Ersatz für die Speiseröhre. Das heißt, der Magen wird aus seiner Verankerung gelöst und zu einem Schlauch umgeformt, in die Brusthöhle hineinverlegt und mit der restlichen Speiseröhre vernäht (Hybridtechnik). In besonderen Fällen kann die Speiseröhre auch durch einen Teil des Dickdarms ersetzt werden.

Zehn Jahre Erfahrung
Während selbst an manchen Universitätskliniken die schonende Technik zur Speiseröhrenentfernung erst neuerdings angewendet wird, hat Vogel selbst damit schon zehn Jahre Erfahrung und operiert alle Tumoren der Speiseröhre am Klinikum selbst. Etwa 90 solcher OPs hat er bereits vorgenommen. Er schätzt, dass nur etwa 20 Häuser in Deutschland diese Technik anbieten. Die meisten Patienten bekommen vor der Operation eine Chemotherapie und /oder Bestrahlung im Klinikum und in enger Abstimmung mit der Onkologie. Die Operation selbst dauert gut fünf Stunden und hat gegenüber einem langen Schnitt mit Eröffnung der Brusthöhle den großen Vorteil, dass die Patienten weniger Blut verlieren und weniger Schmerzen haben. Entsprechend früher sind sie wieder auf den Beinen.

Kleinere Portionen
Mit dem nach der OP stark verkleinerten Magen können die Patienten weitgehend normal essen, allerdings nur noch kleinere Portionen. Ob die Patienten wieder vollständig gesund werden, hängt laut Chefarzt Vogel davon ab, ob der Tumor schon gestreut hat.

Teller leeressen - das war einmal
Ich sitze hier. Da sieht man doch schon, wie gut ich das weggesteckt habe.“ Joachim Rudolph ist begeistert. Vor gut sechs Wochen hat ihm Dr. Peter Vogel im Klinikum wegen eines Tumors einen Teil der Speiseröhre entfernt. Jetzt übernimmt der zum Schlauch geformte Magen die Funktion der Speiseröhre und dank der modernen minimalinvasiven OP-Technik kann der Landwirt schon wieder lachen. Zurzeit ist der Beiershäuser in Begleitung seiner Frau zur Reha in der Vitalisklinik. Dass er vor wenigen Wochen eine große Operation hatte, sieht man ihm auf den ersten Blick nicht an. Weil er immer mehr abgenommen hatte, war Rudolph vom Hausarzt zur Magenspiegelung ins Klinikum überwiesen worden. Obwohl hier Krebs festgestellt wurde, hatte der 82-Jährige keine Angst vor der OP „durchs Schlüsselloch“. Er berichtet, danach sei er überrascht gewesen, wie gut es ihm ging. Er hatte zunächst ein Druckgefühl in der Brust, konnte aber am Tag danach schon wieder aus dem Bett aufstehen.

Maß halten
„Ich darf nur nicht zu viel essen“, erklärt Rudolph. Das ist eine Umstellung für ihn, denn: „Wir sind es gewöhnt, den Teller abzuessen“, erzählt er und lacht. Ganz so fit wie zuvor fühlt er sich noch nicht. „Nach dem Essen bin ich müde“, sagt er, der sein Leben aktiv war und viele Jahre Landwirtschaft betrieben hat. Bald möchte er zu Hause wieder Gartenarbeit machen und den Söhnen helfen, den großen Hof in Schuss zu halten. „Er muss Maß halten“, rät ihm seine Frau, Marlies Rudolph.

Hintergrund

Ein Schlauch von 25 Zentimetern
Die Speiseröhre ist ein etwa 25 Zentimeter langer Muskelschlauch, der den Mund- und Rachenraum mit dem Magen verbindet. Die Innenwand des Schlauchs ist mit einer Schleimhaut ausgekleidet, deren oberste Schicht aus flachen Zellen besteht, dem sogenannten Plattenepithel. Bei Speiseröhrenkrebs verändern sich die Zellen der Schleimhaut und beginnen zu wuchern. Im Jahr 2012 wurde bei 5000 Männern und 1500 Frauen ein bösartiger Tumor der Speiseröhre entdeckt. Für das Jahr 2016 erwarten die Experten der Krebsregister einen leichten Anstieg auf 5600 männliche und 1600 erstmals betroffene weibliche Erkrankte. Dieser Anstieg ist auf die höhere Lebenserwartung zurückzuführen: Das mittlere Erkrankungsalter liegt für Männer bei 67 Jahren, für Frauen bei 71 Jahren.

Bericht aus der Hersfelder Zeitung vom 06.07.2016