Medikamente optimal einsetzen
Der Einsatz von Stationsapothekern in Kliniken bringt nach Ansicht von Apotheker Dr. Klaus Schaible in mehrfacher Hinsicht Nutzen
In Niedersachsen sind sie ab 2022 Pflicht und auch bundesweit können sie irgendwann kommen: Stationsapotheker sind ein wichtiges Thema, das inzwischen auch in der Politik angekommen ist. Während seiner Beratungen über das seit Mai geltende Terminservice- und Versorgungsgesetz hatte es der Bundesrat auf der Agenda – und hat sich klar für eine bundesweite Einführung ausgesprochen. Wie die Arbeit mit einem Stationsapotheker im Alltag funktioniert, wurde nun am Klinikum Bad Hersfeld getestet. Im Interview berichtet der Leiter der Krankenhausapotheke Dr. Klaus Schaible über Hintergründe, Erfahrungen und Herausforderungen.
Seit einigen Monaten sind Sie regelmäßig als Stationsapotheker im Einsatz, seit kurzem ist der Testzeitraum dieses „Modellprojekts“ abgeschlossen.
Wie genau muss man sich Ihre Arbeit als Stationsapotheker vorstellen?
Dr. Klaus Schaible: Seit Februar gehe ich jeweils einmal wöchentlich zur Kurvenvisite auf die psychiatrisch offene und die psychiatrisch geschlossene Station. Dort schaue ich mir die Patientenakten an, schreibe, aktuell noch per Hand, die Medikationen heraus und übertrage sie ins System. Anschließend überprüfe ich sie – zum einen auf Wechselwirkungen, zum anderen aber auch darauf, ob sie in der verordneten Dosis überhaupt für den Patienten geeignet sind. Dabei sehe ich mir auch die Laborwerte an, denn wenn jemand beispielsweise einen Leber- oder Nierenschaden hat, sind Medikamente in der Regel viel höher und länger im Körper verfügbar, da ihr Abbau in der Leber und die Ausscheidung hauptsächlich renal, d.h. über die Nieren erfolgt. Das ist enorm wichtig, da eine Anpassung nur unter Beachtung von Laborwerten und Wechselwirkungen vorgenommen werden kann. Finde ich etwas, das nicht passt, gebe ich auf Station eine Empfehlung. Außerdem steht unser pharmazeutisches Team natürlich bei Bedarf jederzeit zur Verfügung, wenn es akute Fragen zu Medikationen gibt.
Wieso wurde dieses Projekt eingeführt?
Dr. Schaible: Im Grunde geht es um das Thema Arzneimittelsicherheit. Das Ganze hatte seinen Ursprung beim Bundesministerium für Gesundheit, denn dort wurde vor einigen Jahren in Zusammenarbeit mit den Kassen festgestellt, dass zu viel Geld im System verpufft und Menschen plötzlich Beschwerden bekommen, die sie normalerweise nicht haben. Man ist dann auf Ursachensuche gegangen und hat an verschiedenen Unikliniken Studien durchgeführt. Ziel war es, herauszufinden, was wirklich an Neben- und Wechselwirkungen auftritt, wie viele Kosten dadurch entstehen und wie viele Todesfälle oder geschädigte Patienten dies zur Folge hat. Bis dahin gab es dazu noch keine verlässlichen Zahlen. Hauptziel ist natürlich, Medikamente sinnvoll und zielgerichtet einzusetzen, bedeutet optimales Medikament, optimale Dosis, optimale Kombinationen, richtige Anwendung.
Es wurde also der Ist-Zustand ermittelt. Aber damit allein ändert sich ja noch nichts?
Dr. Schaible: Nein, es sollte natürlich auch geschaut werden, inwiefern wir das alles beeinflussen können und daraus sind in den letzten Jahren Aktionspläne zur Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) entstanden. Beispielsweise hat seit 2016 jeder gesetzlich Versicherte, der mindestens drei Arzneimittel nimmt, ein Recht darauf, vom Arzt einen schriftlichen Medikationsplan zu erhalten. Vor allem für ältere Menschen, die viel verordnet bekommen, ist so etwas interessant. Jeder Betroffene sollte das auch einfordern. Allerdings reicht das allein noch nicht aus.
Wieso nicht?
Dr. Schaible: In der Theorie klingt das schön, in der Praxis ist es aber oft so, dass ein solcher Plan zwar erstellt, jedoch nicht überprüft wird. Der Arzt stellt also den Plan auf, gibt die Dosierung und vielleicht noch den Einnahmezeitpunkt vor, aber das war es dann auch. Man schaut in der Regel nicht auf Wechselwirkungen, die es zwischen den Medikamenten gibt oder auf patientenindividuelle Einschränkungen. Dabei ist das eigentlich das Wichtigste. Ein Problem ist hierbei auch, dass viele Patienten heutzutage zu verschiedenen Fachärzten und zum Hausarzt gehen, aber keiner da ist, der das alles überwacht. Hier kommt dann der Pharmazeut ins Spiel. Im Grunde sollte Jeder seine Medikation von einem Apotheker/ einer Apothekerin überprüfen lassen.
Und das läuft zumindest im Krankenhaus nun anders. Wie waren denn Ihre Erfahrungen auf Station – gab es Schwierigkeiten?
Dr. Schaible: Nein, eigentlich überhaupt nicht. Mit den Psychiatrie-Stationen funktioniert es wirklich sehr gut: Man versteht sich gut, die Zusammenarbeit ist unkompliziert und es läuft alles, wie es soll. Es gibt auch kein Kompetenzgerangel oder so etwas, was natürlich auch immer wichtig ist. Die Teams auf den Stationen wirken eher dankbar, dass sich jemand richtig der Medikationsthematik annimmt. Zu bedenken ist dabei aber natürlich auch, dass dort viel Arbeit investiert werden muss, was zum Teil auch eine Schwierigkeit ist: Man muss die Zeit nebenbei aufbringen, denn wir sind noch nicht so weit, dass wir hauptamtliche Stationsapotheker haben. So viel Personal ist nicht verfügbar bzw. bezahlbar.
Was bedeutet das für die Zukunft?
Dr. Schaible: Auf den beiden Stationen läuft nun erst einmal alles mit gutem Ergebnis weiter, perspektivisch wollen wir es aber ausbauen und intensivieren. Genaue Aussagen lassen sich dazu aktuell allerdings nicht treffen, von Jahr zu Jahr wird ein Wirtschaftsplan erstellt und wir müssen schauen, was wir in diesem Bereich bewegen können. Die niedersächsische Landesregierung hat den Bund aufgefordert, zu prüfen, ob die Stationsapotheker durch den Bund refinanziert werden können.
Sie sagen, es liefe „mit gutem Ergebnis“ weiter – was genau heißt das?
Dr. Schaible: Die Verantwortlichen müssen erkennen, dass dadurch alle im System profitieren: Durch die Anpassungen ist der Medikamentenverbrauch geringer, Kosten werden gesenkt, Liegezeiten evtl. verkürzt und Pflegekräfte/ Ärzte werden entlastet, da jemand anderes nun den Überblick über die Medikation hat. Zudem haben wir eine wesentlich bessere Compliance bei den Patienten, also eine bessere Mitarbeit und Therapietreue. Auch das ist für den Behandlungserfolg entscheidend.
In Niedersachsen sind Stationsapotheker ab 2022 vom Gesetzgeber vorgeschrieben. Sollte eine solche Pflicht Ihrer Meinung nach deutschlandweit eingeführt werden?
Dr. Schaible: Ich denke schon. Niedersachsen ist nun Vorreiter wegen des Falls um den Pfleger Nils Höger, der zahlreiche Patienten mit Medikamenten getötet hat. Auch durch Stationsapotheker hätte man alle Morde vermutlich nicht verhindert, weil es hier ja um die Medikamentengabe geht, die letztlich niemand überwacht hat. Dennoch wäre einem Stationsapotheker ein erhöhter Verbrauch wahrscheinlich aufgefallen – hier vor Ort machen wir jetzt beispielweise Quartals- und Monatsanalysen und da fällt so etwas sofort auf. Wir forschen bei Auffälligkeiten sofort nach und halten Rücksprache mit den jeweiligen Chefärzten. Ich glaube schon, dass das Gesetz irgendwann bundeseinheitlich kommt, denn es rentiert sich auf jeden Fall, das beweisen alle bisherigen Studien. Im Idealfall lebt der Patient länger und das bei besserer Lebensqualität. Das sollte immer unser Hauptziel sein. Von daher blicke ich optimistisch in die Zukunft!
Zur Person
Dr. Klaus Schaible wurde 1961 in Wolfhagen geboren. Von 1984 bis 1988 studierte er Pharmazie an der Philipps-Universität in Marburg, von 1989 bis 1994 folgte die Promotion am Institut für Pharmazie und Lebensmittelchemie. Bis 1998 war Dr. Schaible Oberstabsapotheker bei der Luftwaffe in Mechernich und Hildesheim, danach von 1998 bis 2016 Dozent an der PTASchule in Kassel und in der Zentralapotheke im Klinikum Kassel. Seit Dezember 2018 ist Dr. Schaible Leiter der Apotheke im Klinikum Bad Hersfeld. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder. In seiner Freizeit fährt er Mountainbike, hört Rockmusik und schraubt an alten Autos.
Hier finden Sie den Bericht aus der Hersfelder-Zeitung vom 24.09.2019