Mehr als nur einen Schutzengel
Es ist ein schwerer Moment, als Brigitte Koch und ihr Mann in einem auswärtigen Krankenhaus realisieren, wie ernst es um die heute 71-Jährige steht. Wenige Tage zuvor war sie wegen eines Herzinfarktes per Notarzt in die Klinik eingeliefert worden. Es war der Beginn eines fünf-monatigen Krankenhausaufenthaltes, während dem sie mehr als nur einen Schutzengel hatte: Als Komplikation des Herzinfarkts hatte sich ein großer Defekt zwischen den beiden Herzkammern gebildet.
„Bei einem infarktbedingten Ventrikelseptumdefekt (VSD) handelt es sich um eine mittlerweile seltene Komplikation, die Frau Koch durch den schweren Herzinfarkt erlitten hat“, erklärt Prof. Dr. Ardawan Rastan, Chefarzt der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie am Herz-Kreislauf-Zentrum in Rotenburg. In der aktuellen Pandemie sind es jedoch genau diese Fälle, die das Herzteam häufiger behandeln muss. Prof. Dr. Stephan Fichtlscherer, Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Kardiologie des HKZ, erklärt: „Die Erkrankung kann auftreten, wenn Betroffene zu spät zum Arzt gehen, typische Herzinfarkt-Symptome nicht ernst nehmen oder sich aktuell vielleicht nicht trauen, den Arzt zu rufen.“ Immer wieder hat das Team des HKZs auf dieses Problem und die damit verbundenen Gefahren hingewiesen. Die Corona-Krise, da sind sich Experten nicht nur in Hessen einig, ist vermutlich schuld daran, dass Betroffene sich nicht in Krankenhäuser oder zum Hausarzt trauen und so die Sterberate bei Herzerkrankungen momentan deutlich höher liegt als in den vergangenen Jahren.
Ganz anders war das bei Brigitte Koch. Die Rentnerin aus Grebenau hat Jahre lang in einer Arztpraxis gearbeitet. „Es war ein später Abend im Juni, als ich großen Druck auf dem Brustkorb und starke Schmerzen verspürte. Außerdem habe ich kaum Luft kommen. Da ahnte ich schon etwas und mein Mann und ich haben direkt den Notruf gewählt“, erinnert sie sich. Danach ging alles sehr schnell. Der Herzkathetereingriff fand direkt am nächsten Tag statt, insgesamt drei Stents wurden dabei gesetzt. In der Zeit nach der Operation fand sie jedoch keine Ruhe: Fieber setzte ein und die Gallenblase musste entfernt werden. Weiterhin ging es ihr immer schlechter und die behandelnden Ärzte befürchteten ein Versagen von weiteren Organen. Sie verlegten Brigitte Koch in das HKZ nach Rotenburg.
Das behandelnde Team diagnostizierte hier als Ursache des Kreislaufschocks einen Kammerscheidewanddefekt (Ventrikelseptumdefekt): Als Folge des Herzinfarktes hatte sich ein großer Defekt zwischen linker und rechter Herzkammer gebildet, sodass zum einen nicht genügend sauerstoffreiches Blut in den Körperkreislauf gepumpt werden konnte und zudem die rechte Herzkammer stark belastet wurde. „Dies gehört sicherlich zu einer der schwerwiegendsten Folgen eines Herzinfarktes, die wir derzeit aufgrund von Corona aber häufiger behandeln müssen. Fast die Hälfte aller Patienten mit einer derartigen Komplikation, die im Schock in die Klinik eingeliefert werden, überlebt dies nicht“, erklären die Mediziner. Brigitte Koch befand sich also bereits in einer kritischen Situation. Sie selbst erinnert sich heute nur noch bruchstückhaft an die Erlebnisse und ist froh, während dieser Zeit auf ihren Mann und ihre Tochter vertraut haben zu können. „Wir haben Frau Koch zunächst an ein Herzunterstützungssystem angeschlossen und so ihren Organen und dem Herz Zeit zur Erholung gegeben. Nach etwa einer Woche waren glücklicherweise sowohl der Kreislauf als auch die Organe wieder so stabil, dass die riskante Operation als einzige Überlebenschance vorgenommen werden konnte“, erklärt Dr. Ahmad Abugameh, der diese Operation durchführte. Die Entscheidung für eine Operation mussten jedoch ihr Mann und ihre Tochter treffen. Brigitte Koch selbst war zu diesem Zeitpunkt dazu nicht in der Lage.
Die komplizierte Operation selbst verlief dann sehr erfolgreich. Das große Loch in der Kammerscheidewand von Brigitte Kochs Herz wurde mit einem biologischen Flicken verschlossen. „Außerdem hatten wir festgestellt, dass Frau Koch als weitere Komplikation eine Aussackung (Aneurysma) der linken Herzkammer entwickelt hatte. Diese haben wir ebenfalls entfernt“, so Dr. Abugameh. Nach der Operation unterstützten die Maschinen die einzelnen Organe für einige Tage, da die Herzfunktion noch stark eingeschränkt war. Nur Tag für Tag konnte im Team entschieden werden, wann die Organe, vor allem auch das Herz von Brigitte Koch, wieder ganz alleine und ohne Unterstützung arbeiten konnten. „Während der gesamten Behandlung gab es immer wieder Momente, in denen das Überleben der Patientin am seidenen Faden hing“, resümiert Prof. Fichtlscherer.
Nach einem Monat auf der Intensivstation war es dann im September soweit: Brigitte Koch konnte in die Rehabilitationsklinik verlegt werden – auch direkt im HKZ. Dort wurde sie Anfang Dezember entlassen. „Ich fühle, dass es noch etwas dauert, bis ich wieder ganz fit bin und all das, was im letzten halben Jahr passiert ist, verarbeitet habe. Momentan freue ich mich aber, wieder in meinem zu Hause zu sein und mich erholen zu können. Wenn es im Frühjahr geht, möchte ich gerne wieder Nordic Walking machen und hoffentlich darf ich bald wieder meine Enkel treffen“, erzählt uns die Rentnerin. Bedingt durch die Corona-Virus Pandemie soll Brigitte Koch - wie viele andere - jedoch erst einmal auf Familientreffen verzichten und sich vor einer Ansteckung schützen. „Gerade Herzpatienten sind Risikopatienten und sollten die momentane Situation nicht unterschätzen“, so Prof. Rastan.
Diabetes und Herzinsuffizienz – Lebensverlängerung in Sicht
An Herzschwäche leiden mittlerweile so viele Menschen wie an Brust-, Prostata- und Darmkrebs zusammen. Die Zahlen der Erkrankten steigen wie auch der Schweregrad der Erkrankung, so der deutsche Herzbericht.
Wenn gleichzeitig eine Zuckererkrankung vorhanden ist, so ist die Herzschwäche mit dem höchsten Sterberisiko für Betroffene verbunden. In einer Analyse von Registerdaten aus Dänemark war die Mortalität binnen fünf Jahren bei Typ-2-Diabetespatienten mit frisch diagnostizierter Herzschwäche im Vergleich zu Patienten ohne Insuffizienz verdreifacht.
Jahrzehntelang waren die Waffen der Kardio-Diabetologie eher stumpf. So konnte beispielsweise mit Insulin immer eine gute Blutzuckereinstellung erreicht werden, jedoch ohne die Lebenszeitspanne zu verlängern. Seit ungefähr zehn Jahren laufen Studien mit neuen Substanzen, die neben der Blutzuckersenkung auch Wirkung auf Begleiterkrankungen zeigen. Hier sind insbesondere Übergewicht, Blutdruck und Herzschwäche zu nennen. Teils zufällig entdeckte man in den Zulassungsstudien für die neuen Medikamente lebensverlängernde Effekte, ohne bis zum heutigen Tag zu verstehen, welcher Mechanismus sich dahinter verbirgt. Die Studien sollten die Nichtunterlegenheit der modernen Diabetes-Medikamente im Vergleich zur Standardtherapie zeigen und brachten im Ergebnis eine regelrechte Revolution in der Behandlung von Typ-2-Diabetikern in Gang. Seit Kurzem stehen die neuen Medikamente entweder in Tablettenform oder als Spritze einmal wöchentlich zur Verfügung.
Im Herz-Kreislaufzentrum Rotenburg kommen diese neuen kardio-diabetologischen Therapieoptionen gezielt zum Einsatz – sowohl in der Akutmedizin aber vor allem in der anschließenden Rehabilitation. Dank des drei-wöchigen Aufenthaltes kann die Wirkung der Medikamente individuell überprüft werden. Bei Auftreten von Nebenwirkungen sind die Spezialisten in der Lage, auf Alternativen auszuweichen.
Fazit: Diabetiker mit einer Herzerkrankung mussten wegen ihrer Diabetes-Erkrankung mit einer Lebensverkürzung um sechs Jahre, wegen der Herzerkrankung mit weiteren sechs Jahren rechnen. Aktuellen Schätzungen zufolge verlieren herzkranke Diabetiker heute keine Lebenszeit mehr, sondern gewinnen mit leitliniengerechter Therapie unter Einbezug der neuen Medikamente bis zu sechs Lebensjahre. Sollten sie sich mit ausreichend Bewegung zusätzlich fit halten, gewinnen sie weitere Lebenszeit und werden gesund älter.
Wenn alles doch noch glatt läuft
Nach einem Herzinfarkt geht es Dr. Alexander Abshagen heute wieder gut
Heute sitzt Dr. Alexander Abshagen erleichtert im Büro von Chefarzt Dr. Reinhard Funck. Zu verdanken hat er dies dem diensthabenden Arzt des Ärztlichen Notdiensts, dem Team der Zentralen Notaufnahme am Klinikum Bad Hersfeld sowie der dortigen Klinik für Kardiologie und Intensivmedizin. Im Dezember 2020 erlitt der damals 71-Jährige nachts einen Herzinfarkt.
Direkt am nächsten Morgen wurde der Ärztliche Notdienst aufgesucht. „Besser wäre es gewesen, wenn er direkt in der Nacht bei ersten Symptomen die Notrufnummer 112 gerufen hätte. Bei Erkrankungen des Herzens können Minuten entscheidend sein“, erklärt Funck. Der diensthabende niedergelassene Arzt im Ärztlichen Notdienst erkannte sofort die Symptome und überwies Alexander Abshagen in die Zentrale Notaufnahme am Klinikum Bad Hersfeld – nur eine Stunde später wurden ihm im Herzkatheterlabor fünf Stents eingesetzt.
Vermutet hatte er den Herzinfarkt schon in der Nacht: „Ich hatte starke Schmerzen in der Brust und Atemnot – das sind ja bekannte Symptome für einen Herzinfarkt oder auch andere schwerwiegende Erkrankungen des Herzens.“ Sein behandelnder Arzt ergänzt, dass Dr. Alexander Absagen außerdem an einer Lungenerkrankung leidet und dabei auch an einer Lungenentzündung erkrankt war. „Kommen nun solche Symptome hinzu, muss direkt ein Notarzt gerufen werden – auch in Zeiten von Corona“, ergänzt Dr. Funck. Auch er hatte im vergangenen Jahr Patienten behandeln müssen, die sich durch die Pandemie zu spät zum Arzt oder in die Klinik „getraut“ hatten: „Vor allem im Bereich Herz haben wir wenig Spielraum was die Zeit angeht. Je mehr Zeit vor der rettenden Erstbehandlung mittels Herzkatheter vergeht, umso höher ist das Risiko, noch vor Erreichen des Krankenhauses zu versterben und desto schlechter stehen auch die Heilungschancen.“
Nach dem Eingriff blieb der gebürtige Hersfelder noch zur Überwachung auf der Intensivstation. „Schmerzen hatte ich direkt nach dem Eingriff kaum noch. Vor allem die Atemnot war verschwunden, was mich beruhigt hat“, so Abshagen. Auch auf der Normalstation wurde sein Herz weiterhin überwacht und vor Herzrhythmusstörungen geschützt. Dazu nutzt das Klinikteam häufig Life-Vests („Rettungswesten“), die über einen Elektrodengürtel den Herzrhythmus des Trägers analysieren und falls notwendig therapieren. Zusätzlich zeigt ein Monitor durchgängig die wichtigsten Werte an. „Mit der Weste, die ich in den ersten drei Monaten nach dem Infarkt getragen habe, fühlte ich mich schon sehr sicher“, so Alexander Abshagen. Auf Empfehlung des Bad Hersfelder Kardiologen-Teams und durch Bekannte entschied er sich danach für eine Reha im HKZ in Rotenburg, nicht zuletzt weil seine Herzleistung weiterhin eingeschränkt ist. „Ich war früher als Rechtsanwalt und Bauunternehmer tätig. Da fällt es mir heute schwer, einen oder auch zwei Gänge runterzufahren“, merkt er etwas nachdenklich an. Dass er das jedoch muss, um langfristig wieder gesund zu werden, zeigen ihm die Ärzte und Pflegenden der Reha-Abteilung des HKZ. Die Entscheidung für die Rehabilitation, um unter Aufsicht einen Weg in einen bewusst gesunden Alltag zu finden, hat der 71-Jährige nicht bereut.
Heute weiß er vor allem eins: „Ich bin glücklich und dankbar, dass an diesem Sonntagmorgen alles so perfekt gelaufen ist. Alle Personen, ob Ärzte oder Pflegende, haben alles richtig gemacht, Symptome erkannt, die Diagnose gestellt und mich schnellstens behandelt. Sie haben mein Leben gerettet. Verstanden habe ich aber auch, dass es für mich besser gewesen wäre, direkt die 112 anzurufen. Das Herzkatheterteam im Klinikum wäre auch nachts für mich da gewesen.“
Hier finden Sie den Artikel aus der Hersfelder Zeitung vom 27.02.2021