Ohne Antrieb und ständig müde
Draußen ist es dunkel, grau und nass – der Winter schlägt so manchem aufs Gemüt. Im Volksmund ist dann häufig von Winterblues oder auch Novemberblues die Rede. Wir haben mit Prof. Dr. Gerald Schiller, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum Bad Hersfeld, über diese Art der „Verstimmung“ gesprochen.
Winterblues – oder auch Novemberblues – gibt es den eigentlich wirklich?
Tatsächlich schlägt die dunkle und nasskalte Jahreszeit vielen aufs Gemüt. Ein medizinischer Fachbegriff ist die im Volksmund häufig verwendete Bezeichnung allerdings nicht, wie Prof. Dr. Gerald Schiller betont. Auch handele es sich im medizinischen Sinne nicht um eine Erkrankung. Der Winterblues ist laut Schiller eine a-typische Depression beziehungsweise eine eher harmlose Form der saisonal-abhängigen Depression, die in diesem Fall eben im Herbst und im Winter auftritt. „Man könnte auch von einer leicht depressiven Verstimmung oder einer Befindlichkeitsstörung sprechen“, so der Facharzt.
Wie äußert sich der sogenannte Winterblues?
Typische Symptome sind Antriebsmangel, Lustlosigkeit Trübsinn, Schlappheit, Müdigkeit und ein erhöhtes Schlafbedürfnis (Hypersomnie), mitunter auch Gereiztheit. Ebenfalls nicht selten sei Heißhunger auf Süßigkeiten und Kohlehydrate (Hyperphagie). Manchmal kommen auch leichte körperliche Symptome hinzu wie Schnupfen oder Kopfschmerzen. „Man ist einfach nicht gut drauf, hat keine Lust etwas zu unternehmen und igelt sich lieber ein“, erklärt Schiller. In der Regel verschwinden die genannten Symptome nach einigen Tagen wieder.
Welche Ursache hat der Winterblues?
Hauptgrund scheint der Mangel an (Tages-)Licht in der dunklen Jahreszeit zu sein, denn dieser hemmt einerseits die Produktion von Serotonin im Körper, das als Glücks- oder auch Muntermacherhormon bekannt ist. Parallel dazu wird bei Lichtmangel das Schlafhormon Melatonin ausgeschüttet. Trübsinn und Müdigkeit sind somit die Folge.
Wer ist besonders häufig betroffen?
Da als Hauptursache der Mangel an Licht gilt, kann der Winterblues grundsätzlich jeden treffen, wobei „echte“ Depressionen bei Frauen öfter als bei Männern diagnostiziert werden. Auch das Alter spielt keine entscheidende Rolle.
Was kann man gegen das Stimmungstief tun?
Um ausreichend (Tages-) Licht zu bekommen, empfehlen Experten, täglich mindestens eine halbe Stunde nach draußen zu gehen – ein Spaziergang in der Mittagspause bietet sich ebenso an wie eine ausgedehnte Runde am Wochenende. Dafür muss übrigens gar nicht unbedingt die Sonne scheinen. Auch bei bewölktem Himmel ist das natürliche Licht noch stärker als die übliche Zimmerbeleuchtung, heißt es. Lichtmangel ausgleichen sollen auch sogenannte Tageslichtlampen, die das natürliche Tageslicht simulieren und gegen Unausgeglichenheit, gedrückte Stimmung sowie Energie- und Antriebslosigkeit helfen sollen und stattdessen einen positiven Stimmungsschwung versprechen. Den Kreislauf und die Serotoninproduktion wieder in Schwung bringen aber auch Sport beziehungsweise Bewegung am besten noch an der frischen Luft. „Vor allem Ausdauersportarten wie Laufen und Radfahren können positive Einflüsse auf den Gemütszustand ausüben“, sagt etwa der bekannte Professor Ingo Froböse vom Zentrum für Gesundheit der Deutschen Sporthochschule Köln. Und auch Professor Gerald Schiller weiß: „Die positiven Auswirkungen von Sport werden mitunter immer noch verkannt.“ Ebenfalls die Serotoninproduktion ankurbeln sollen bestimmte Lebensmittel wie Nüsse und Fisch. Außerdem empfiehlt Schiller: „Aktiv bleiben, etwas unternehmen und die sozialen Kontakte nicht vernachlässigen.“ Und wenn Geldbeutel und Zeit es zulassen: ab in den Süden!
Wann ist ärztliche Hilfe angebracht?
Ein leichtes, sprich harmloses Stimmungstief im Herbst oder Winter ist im Gegensatz zur saisonalen oder saisonal-unabhängigen Depression grundsätzlich nicht behandlungsbedürftig, sagt Gerald Schilller. Sollte jemand aber über mehrere Wochen oder Monate unter einem ausgeprägten Stimmungstief leiden oder gar unter depressiven Wahnthemen (zum Beispiel Verarmungswahn, Schuldwahn, hypochondrischer Wahn) bis hin zu suizidalen Gedanken, muss dringend ein Arzt aufgesucht werden. Erster Ansprechpartner ist in der Regel der Hausarzt, der dann die entsprechenden Weichen stellen könne. In ganz akuten Fällen sei die psychiatrische Ambulanz die richtige Anlaufstelle.
Wie ist der Winterblues von einer Depression zu unterscheiden?
Die Grenzen sind oft fließend, das gilt ebenso für die zwischen einer depressiven Verstimmung und einer „echten“ Depression. Fachleute können aber meist eine klare Diagnose stellen. In erster Linie sind laut Gerald Schiller Dauer und Schweregrad entscheidend. Bei einer Depression sind die Symptome – angefangen bei Antriebslosigkeit – schwerer und ausgeprägter. Betroffene können ihren Alltag nicht mehr bewältigen und sie fühlen sich unabhängig von der Realität in einer aussichtslosen Lage, mitunter plagen sie Gedanken an Selbstmord. Häufig kommen auch körperliche Beschwerden wie Schmerzen oder Verdauungsprobleme hinzu. Während der Winterblues eher mit Heißhunger und Gewichtszunahme einhergeht, ist bei der Depression zudem das Gegenteil typisch: Appetitlosigkeit und Gewichtsabnahme. Behandelt werden Depressionen mit Medikamenten und/oder Psychotherapie.
Zur Person
PROF. DR. GERALD SCHILLER (62) wurde in der Nähe von Nürnberg geboren. Er hat in Erlangen studiert und ist Facharzt für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie, Suchtmedizin, Geriatrie, Verkehrsmedizin und Sportmedizin.
Seit Herbst 2011 ist Schiller im Klinikum Bad Hersfeld tätig.
Er ist Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Zudem hat er einen Lehrauftrag an der Fresenius-Hochschule in Idstein bei Wiesbaden sowie an der Universität Gießen-
Bevor er nach Bad Hersfeld wechselte, war er Chefarzt und Ärztlicher Direktor am Waldkrankenhaus Köppern in Friedrichsdorf.
Schiller hat eine erwachsene Tochter und lebt in Bad Nauheim, wenn er nicht in Hersfeld ist. In seiner Freizeit treibt er gerne Sport und singt im Chor. (nm)
Hier finden Sie den Bericht aus der Hersfelder Zeitung vom 21.11.2018