Podcast #4 | Wie bitte?

Wie bitte? Oder Nordhessisch"Hä?" - Das kennen Personen, die unter Schwerhörigkeit leiden. Dass diese gerade im Alter aber auch im Zusammenhang mit einer Demenz stehen kann, wissen die wenigsten. Gemeinsam blicken Moderatorin Loreen Sippel und ihre beiden Gäste Jessica Fink und Dr. Axel Saure auf das Thema Schwerhörigkeit im Alter und diskutieren, ab wann der Gang zum HNO-Arzt oder auch Hörgeräteakustiker Pflicht sein sollte.

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Und damit ein herzliches Willkommen an unsere Zuhörer zu unserer neuen Podcast-Folge, die den Titel „Wie bitte?“ trägt und damit ein Problem anspricht, das rund 1,6 Milliarden Menschen auf der ganzen Welt trifft: Nämlich die Schwerhörigkeit. Ganz besonders möchten wir heute auf den Zusammenhang zwischen Altersschwerhörigkeit und Demenz blicken. Meine beiden Gäste dazu sind, ich starte mal mit Ladys First, Jessica Fink, die als leitende Audiologin und Master of Arts in unserer HNO-Klinik tätig ist, und Dr. Axel Saure, abteilungsleitender Oberarzt der Geriatrie. Damit direkt vielen Dank an Sie beide, dass Sie sich die Zeit nehmen.

Ich möchte unsere Zuhörer kurz dahin mitnehmen, wo dieses Thema seinen Ursprung gefunden hat, nämlich, Frau Fink, in einer Zusammenarbeit zwischen uns beiden. Es ging um einen älteren Patienten und im Gespräch kamen wir beide über das Thema, dass Schwerhörigkeit im Alter auch ganz oft eine Verbindung zu Demenz hat. Da ich diesen Aspekt ganz spannend fand, haben wir beschlossen, Herrn Saure als Experten für Altersmedizin ins Boot zu holen und hier gemeinsam einmal näher hinzuschauen. Bevor wir so richtig in die Thematik einstiegen glaube ich, ist es ganz gut, wenn wir die Begriffe Altersschwerhörigkeit und auch Demenz einmal etwas näher erklären. 

Frau Fink, daher die Frage, ab wann oder vielleicht auch wie genau misst man denn eine Schwerhörigkeit und ab welchem Alter redet man von der Altersschwerhörigkeit?
Auch von mir ein herzliches Willkommen an die Zuhörer und vielen Dank für die Einladung. Gerne würde ich Ihnen erstmal erläutern, was genau eine Schwerhörigkeit ist. Darunter versteht man eine Einschränkung des Hörvermögens, die in unterschiedliche Schwergrade eingeteilt werden kann. Die Hörschwelle ist die Wahrnehmungsgrenze, wo Geräusche zum ersten Mal leise registriert werden. Liegt diese Schwelle bis zu 20 dB wird es als normalhörig bezeichnet. Wird ein Geräusch, wie zum Beispiel das Ticken der Uhr oberhalb von 20 dB wahrgenommen, ist das das erste Stadium der Schwerhörigkeit, also die geringgradige Schwerhörigkeit. Mithilfe von einem Hörtest können die Art und der Schweregrad der Schwerhörigkeit festgestellt werden. Dabei wird überprüft, bei welcher Lautstärke eine bestimmte Tonhöhe zum ersten Mal wahrgenommen wird.
Das Alter wirkt sich auch auf die Ohren aus. In den meisten Fällen beginnt die Altersschwerhörigkeit im Alter ab 50. Es ist ein schleichender Prozess, der bei den hohen Frequenzen beginnt. Ein Beispiel ist, dass Vogelgezwitscher nicht mehr richtig wahrgenommen wird. Die Altersschwerhörigkeit ist eine bestimmte Art der Schwerhörigkeit. Nicht jede Schwerhörigkeit, die im Alter auftritt, ist gleich altersbedingt.  Aus diesem Grund ist die Diagnostik so wichtig, um die Art der Schwerhörigkeit einordnen zu können, um dann die erforderliche Behandlung einzuleiten. Typische Anzeichen der Altersschwerhörigkeit sind Probleme in den Gesprächen mit mehreren Leuten oder bei Nebengeräuschen. 

Und die Altersschwerhörigkeit heißt einfach so, weil sie eine altersbedingte sogenannte „Verschleißerscheinung“ ist?
Richtig. Die Altersschwerhörigkeit ist das Nachlassen des Hörvermögens im Alter ab 50 Jahren. Der normale Alterungsprozess beim Menschen kann sich eben auch auf die Ohren auswirken. Der Grund für den altersbedingten Verschleiß des Hörens liegt hauptsächlich an unserem Innenohr. Dort befinden sich die sogenannten Haarsinneszellen, die für die Verarbeitung der Sprache verantwortlich sind. Die nutzen sich im Alter einfach ab, sodass man Sprache nicht mehr so gut versteht. Nicht jeder im Alter leidet gleich an einer Schwerhörigkeit. Andere Faktoren, wie zum Beispiel erbliche Veranlagung oder Lärm können den Prozess der Altersschwerhörigkeit auch beschleunigen. 
Es ist wichtig zu sagen, dass eine Altersschwerhörigkeit nicht rückgängig gemacht werden kann. Mit fortschreitendem Alter entwickelt sich die Schwerhörigkeit auch weiter. Sollten die ersten Anzeichen einer Altersschwerhörigkeit entdeckt werden, ist es empfehlenswert den HNO-Arzt aufzusuchen.

Wie viele Menschen ab welchem Alter sind denn etwa davon betroffen?
Nach aktuellen Aussagen der Weltgesundheitsorganisation ist jeder 7. Erwachsener in Deutschland von Schwerhörigkeit betroffen. In der Altersgruppe der 65-jährigen ist jeder 3. davon betroffen. Im Vergleich zur Altersgruppe der über 80-jährigen steigt die Häufigkeit an Altersschwerhörigkeit zu leiden auf über 80 % an.

Herr Saure, Ihnen würde ich dann ganz gerne den Begriff der Demenz einmal zur Erklärung geben. Ich glaube hier hat jeder von uns so eine grobe Ahnung, was das ist, aber keiner kennt genau eine Definition davon.
Ein herzliches Willkommen an die Zuhörer auch von mir und danke für Ihr Interesse. Demenz ist erst einmal ein Begriff für eine Gesundheitsstörung, die aus verschiedenen Erkrankungen entstehen kann. Die Definition für eine Demenz nach der gängigsten internationalen Klassifikation von Krankheiten ist ganz einfach: Es bestehen eine Gedächtnisstörung und eine Störung mindestens einer weiteren Denkfunktion, diese Beeinträchtigungen führen zu Leistungseinbußen im Alltag und bestehen seit mindestens sechs Monaten. Es handelt sich also um eine chronische Krankheit, die das Leben wirklich verändert, weil man seine Tätigkeiten nicht mehr so hinbekommt, wie man es bisher gewohnt ist. Die Ursachen dafürkönnen verschiedene Erkrankungen des Gehirns sein. Am häufigsten sind die Alzheimerkrankheit, Folgen von Durchblutungsstörungen und Schlaganfalls-ereignissen oder Mischungen daraus.
Wenn jemand solche Einbußen bei sich oder nahen Angehörigen bemerkt, sollte auch eine ärztliche Vorstellung erfolgen, damit eine gründliche Untersuchung durchgeführt werden kann. Manchmal führen andere Krankheiten zu demenzähnlichen Symptomen und es kann medizinisch eine erhebliche Besserung oder gar Heilung erreicht werden. Häufig wird man jedoch tatsächlich eine Demenz diagnostizieren und den Patienten entsprechend beraten. Manchmal kann man nach der Diagnostik auch einfach nur feststellen, dass vielleicht eine leichte Gedächtnisstörung vorliegt, nicht jedoch eine wirkliche Demenz. Dann muss es auch keine werden. In jedem Fall wird man über den persönlichen Lebensstil und mögliche präventive Verhaltensänderungen sprechen können.

Kann man hier ähnlich eine Tendenz abgeben, wie viele Menschen ab wann etwa betroffen sind?
Nach aktuellen Zahlen sind in Deutschland etwa 1,8 Mio. Menschen betroffen, etwa 2 % der Bevölkerung. Obwohl darunter etwa 100.000 Menschen unter 65 Jahre alt sind, sind Demenzerkrankungen vor allem Erkrankungen des Alters und die Häufigkeit nimmt mit dem Lebensalter zu, auch das persönliche Risiko, betroffen zu werden.

Nun habe ich natürlich ein wenig recherchiert und verschiedene Ansichten zum Zusammenhang zwischen Schwerhörigkeit und Demenz gefunden. Frau Fink ich weiß noch, als wir uns ganz anfänglich dazu unterhalten haben, hatten Sie eine Theorie, warum die Schwerhörigkeit eine Ursache für die Demenz sein kann. Vielleicht könnten Sie das hier noch einmal kurz erklären?
Grundsätzlich ist der Zusammenhang zwischen Schwerhörigkeit und Demenz heutzutage noch nicht vollständig erklärt. Durch die Schwerhörigkeit werden aber, das wissen wir, akustische Signale nicht mehr so gut an das Hörzentrum im Gehirn weitergeleitet. Das ist dann ein Mangel an Reizen, der zu einem Abbau der Leistungsfähigkeit des Gehirns führt. Eine andere Folge der Schwerhörigkeit die soziale Isolation, da der Kontakt mit Menschen oft als sehr anstrengend empfunden wird, wenn man nicht mehr gut hören kann. Durch diese Isolation kommt es dann zu noch weniger Reizen für das Gehirn. Genau das sollte aber wie andere Muskeln stets gefordert werden, um gut zu funktionieren. Dieser Abbau kann sich dann bis zur Demenz entwickeln.
Unser Ziel ist es, die Schwerhörigkeit je nach Bedarf zu behandeln. Oft ist es im Alter das Hörgerät. Viele Studien können belegen, dass eine behandelte Schwerhörigkeit die Demenzerkrankung verlangsamt, weilwieder ausreichend viele Reize am Gehirn ankommen und es wieder arbeiten kann. 
Damit empfiehlt es sich, ab dem 59 Lebensjahr das Gehör regelmäßig untersuchen zu lassen, um eine Schwerhörigkeit früh zu entdecken. Dann kann der Patient früh genug behandelt werden, ohne dass das Gehirn schon anfängt abzubauen. Ein weiterer Vorteil einer rechtzeitigen Behandlung wäre, dass die Anpassung an das Hörsystem schneller von statten geht, da es keine lange Entwöhnung gibt.

Sind Ihnen denn aus der Praxis solche Patienten bekannt bzw. haben Sie hier entsprechende Erfahrungen gemacht?
An dieser Stelle muss ich etwas weiter ausholen. Eine festgestellte leichte Schwerhörigkeit kann sich allgemein gesagt bis zur hochgradigen Schwerhörigkeit weiterentwickeln. Grundsätzlich bin ich als Audiologin für Patienten zuständig, die an einer hochgradigen bis zur Taubheit reichenden Schwerhörigkeit leiden. Diese Patienten können Gesprächen schon in ruhigen Situationen nicht mehr folgen. Meist hören sie nur noch laute Geräusche. .Dann ist es schwierig oder sogar unmöglich, den Hörverlust mit Hörgeräten auszugleichen. In diesen Fällen wäre dann ein sogenanntes Cochlea Implantat eine Behandlungsmöglichkeit. Im Gegensatz zum Hörgerät, welches den Schall verstärken soll, werden beim Cochlea Implantat die geschädigten Teile des Innenohres überbrückt, sodass der Hörnerv elektrische gereizt wird. Ein Cochlea Implantat oder auch kurz „CI“ genannt, ist eine elektronische Hörprothese, die die Funktionen des Innenohres ersetzt und direkt den Hörnerv stimuliert. 
Aufgrund ihrer Schwerhörigkeit berichten die Patienten meistens, dass sie die Gesellschaft meiden und ihr soziales Umfeld stark eingeschränkt haben, da ein Verstehen in Gruppensituation fast unmöglich ist.  Typisch für die Schwerhörigkeit ist auch, dass wenn etwas nicht verstanden wird, ein Nachfragen vermieden wird, da es den meisten Schwerhörigen unangenehm ist. Oft berichten dann auch die Angehörigen, dass eine erhöhte Vergesslichkeit bemerkt wird oder das auch bei Einzelgesprächen in einer ruhigen Situation der Betroffene abschaltet und dem Gespräch nicht mehr folgt.
Wird dann die Schwerhörigkeit versorgt, also je nach Grad der Schwerhörigkeit mit einem Hörgerät oder einem Cochlea Implantat, kann man eine richtige Wendung des Patienten miterleben. Die Patienten erzählen, dass sie wieder aktiver geworden sind oder dass sie wieder viel öfters in der Gesellschaft unterwegs sind.

Wie alt sind denn überhaupt Ihre ältesten Patienten und was genau machen Sie dann mit denen hier bei uns im Haus?
Unsere älteste Patientin, die wir mit einem Cochlea Implantat versorgt haben, war 88 Jahre alt. Grundsätzlich spielt das Alter bei der Versorgung auch keine Rolle.
Bei der ersten Vorstellung in unserer Sprechstunde werden erst einmal verschiedene Untersuchungen mit den Patienten durchgeführt, um Befunde zu erhalten. Basierend darauf wird dann die Behandlung mit dem Patienten besprochen und wenn es vom Patienten gewünscht ist, eben auch eingeleitet. 
Im Falle einer hochgradigen Schwerhörigkeit wäre ein Cochlea Implantat medizinisch sinnvoll. Das muss operativ eingesetzt werden. Meine Aufgabe ist es dann bei unseren Cochlea Implantat-Trägern die Einstellungen des Hörsystems vorzunehmen - genau wie ein Akustiker, der das Hörgerät einstellt. Aus diesem Grund kann ich die ganze Entwicklung des Patienten miterleben. Relativ oft bemerken wir bei unseren älteren Patienten, dass bereits Abbau im Gehirn stattgefunden hat. Deshalb ist das Thema bei der Beratung ein wichtiger Bestandteil geworden. Das bedeutet, dass wir bei dem Vorgespräch den Patienten erklären, dass Hören einen Einfluss auf unsere kognitive Gesundheit ausübt. Zum aktuellen Stand machen wir noch keine Demenztests mit unseren Patienten. Dies wäre aber aus meiner Sicht eine super Ergänzung, um später eine mögliche Verbesserung in Bezug auf kognitiven Abbau festhalten zu können.
Durch diese Zusammenarbeit hier grade zwischen HNO und Geriatrie könnte ich mir aber gut vorstellen, dass so etwas in Zukunft stattfinden könnte.

Da frage ich doch direkt einmal bei der Geriatrie nach - Herr Saure dem gegenüber, was Frau Fink gerade gesagt hat, hatte ich nun aus wiederum anderen Studien entnehmen können, dass eine Schwerhörigkeit bzw. Probleme mit dem Hören auch einfach wahrscheinlicher zum Arztbesuch bzw. der Diagnose Demenz führen könnte, ohne dass zwischen den beiden Erkrankungen eine direkte Verbindung steht. Sie kennen die Studien ja auch. Wie sehen Sie das Thema?
Das ist leider ein bisschen kompliziert. Zuerst einmal müssen wir festhalten, dass es nicht um jede Art und Ursache der Schwerhörigkeit geht, sondern vor allem um die altersbezogene Schwerhörigkeit. Eine Verbindung besteht ganz offensichtlich darin, dass Schwerhörigkeit einem Betroffenen und seinen Bezugspersonen das Leben schwermacht, und Demenz auch. Wenn beides gleichzeitig besteht, natürlich noch mehr.
Dann haben Schwerhörigkeit und Demenz im Alter ganz ähnliche Risikofaktoren für ihre Entstehung, z.B. Zuckerkrankheit, Bluthochdruck, das Vorliegen von Herz-Kreislauferkrankungen, Rauchen. Selbst bei der genetischen Veranlagung gibt es Überlappungen. Damit besteht natürlich auch ein erhöhtes Risiko, beide Erkrankungen gleichzeitig zu entwickeln, wenn man alt wird, die nicht mit einer Ursächlichkeit verwechselt werden sollte.
Wenn wir älter werden, lässt unsere Leistungsfähigkeit im Gehirn auch beim gesunden Altern nach. Z.B. kann ich heute längst nicht mehr so gut neue Fakten lernen wie früher, als ich mir als junger Student alle Details der menschlichen Anatomie einprägen musste. Ein ganz wesentlicher Faktor für viele Alltagsfähigkeiten, die wir über die Jahre hoch automatisiert haben und ganz selbstverständlich durchführen können, sind die sogenannten Aufmerksamkeitsfunktionen. Z.B. benötigen wir da ein hohes Level einfach für den aufrechten Gang, der ja erstmal mechanisch instabil ist – ohne ständige Gleichgewichtsreaktionen würden wir gnadenlos umfallen. So wie es vielen alten Menschen auch passiert, vor allem Dementen.
Genauso benötigen wir diese Aufmerksamkeitsfunktionen, um gut hören zu können. Die Stimme meiner lieben Frau zum Beispiel aus dem lebhaften Geplapper der ganzen Familie am Kaffeetisch, wenn sie mich bittet, noch eine Kanne Tee zu kochen. Auch junge Leute mit Hörstörungen können ein Lied davon singen, wie schwierig das ist. Oft auch, wie dankbar sie dafür sind, wenn ein gutes Hörgerät ihnen das wieder einigermaßen ermöglicht.
Mit dem Älterwerden lassen diese Reserven nach, wir benötigen also viel mehr Aufwand für den gleichen Erfolg. Bei einer Schwerhörigkeit kann es dann schon so sein, dass dies nicht mehr funktioniert und man sich mehr und mehr aus der Kommunikation mit anderen zurückzieht. Sozialer Rückzug, verminderte geistige Anregungen im Leben sind nun wieder ein Risiko, dement zu werden. Bei einer Demenz wiederum kann es sein, dass schon eine leichte Altersschwerhörigkeit dazu führt, dass Kommunikation immer schwieriger wird, weil die Aufmerksamkeitsanstrengungen nicht mehr ausreichen, um gut zuhören zu können.
Also ja: Es besteht eine intensive Beziehung zwischen beiden Gesundheitsproblemen, die wir im Alltag auch immer wieder erleben. Nur eine einfache Kausalität, wonach Hörstörung zu Demenz führen könne, ist zumindest umstritten.

Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang diejenigen Tests, die eine Demenz vor allem durch Gespräche diagnostizieren? Denn wenn eine Person schwerhörig ist, würde sie hier ja schlechter abschneiden, oder?
Das ist so. Wissenschaftlich lässt sich das mit verschiedenen Methoden einigermaßen ausschalten. In unserem Alltag versuchen wir, kognitive Tests in möglichst ruhiger, nicht ablenkender Umgebung, mit Hörgerät durchzuführen. Es gelingt nicht immer so, dass wir aussagekräftige Ergebnisse erhalten. Aber die Alltagsbeobachtung im therapeutischen Team der Geriatrie hilft uns oft, bei unseren stationären Patienten in der Einschätzung genauer zu werden.

Haben Sie da eventuell auch konkrete Beispiele aus Ihrem Alltag?
Immer wieder überraschen uns Patienten mit schweren Hörstörungen und der Vordiagnose einer Demenz damit, dass sie bei den Testungen ganz gut sind, und auch, dass sie ein hohes Maß an Differenziertheit und kognitiver Kompetenz zeigen, wenn man sich mit ihnen Zeit lässt, mal für neue Batterien im Hörgerät sorgt, manches auch non verbal, also gestisch oder mittels Papier/Bleistift oder Gegenständen kommuniziert. Die Auswirkungen einer fortgeschrittenen Schwerhörigkeit mit Eingeschlossensein im eigenen Denken können in den Alltagsfähigkeiten genauso schlimm sein, wie die einer fortgeschrittenen Demenz, vor allem, wenn Einsamkeit, Resignation oder Depressivität dazu kommt.

Jetzt haben wir hier in unserem Podcast natürlich Zuhörer, die sich fragen, ob sie selbst oder einen Angehörigen das auch treffen kann und wie man sich am besten davor schützt. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass für viele Menschen der Zusammenhang gar nicht so klar war. Frau Fink Sie hatten mir immer mal davon berichtet, dass Patienten ihre Schwerhörigkeit auch einfach so hinnehmen bzw. so lange versuchen, ohne Hörgerät auszukommen, wie es nur geht. Sie haben bestimmt eine These, woran das liegt?
Das kann an unterschiedlichen Gründen liegen. Im Alter kann sich das Aktivitätsverhalten verändern auch ohne eine Schwerhörigkeit. Durch einen allgemeinen körperlichen Abbau kommt es zu einer verminderten Aktivität. Das kann zur Folge haben, dass sich das soziale Umfeld verkleinert. Dies wiederum bewirkt, dass durch diesen Rückzug der Beginn der Schwerhörigkeit verspätet bemerkt wird. 
Wenn Patienten an weiteren Erkrankungen leiden, die beispielsweise die Lebensqualität beeinträchtigen, wird die Schwerhörigkeit in diesem Fall als das kleinste Übel hingenommen und bleibt unbehandelt.
Des Weiteren sind den meisten Betroffenen die Folgen einer Schwerhörigkeit und der Zusammenhang zur Demenz nicht bewusst, weshalb die Schwerhörigkeit so hingenommen wird und oft unbehandelt bleibt. Wenn Patienten höheren Alters dann aber den Weg zum HNO-Arzt gefunden haben und die Zusammenhänge zur Demenz erläutert werden, ist das den meisten plausibel und sind dann auch bereit den Weg zum Hörgeräte-Akustiker auf sich zu nehmen. 

Jetzt wollen wir natürlich niemandem Angst machen, aber besonders im Zusammenhang mit der Demenz wie wir ihn hier betrachtet haben, ist da eigentlich eine andere Dringlichkeit geboten, wenn ich das richtig verstehe?
Ja, es macht durchaus Sinn ab dem 60. Lebensjahr das Gehör regelmäßig untersuchen zu lassen. Damit könnte man den Beginn der Schwerhörigkeit rechtzeitig erkennen und die entsprechende Behandlung einleiten. In diesem Fall gäbe es dann keine Entwöhnungen von bestimmten Frequenzen, im Falle der Altersschwerhörigkeiten der hohen Frequenzen. Das wäre dann sehr zur Freude des Hörgeräte-Akustikers, da die Akzeptanz an Hörgeräte damit gesteigert werden könnte. Grundsätzlich muss jedem Patienten bewusst sein, dass eine Anpassungsphase an Hörgeräte oder Cochlea Implantate erfolgen muss. Man kann in der Praxis allerdings beobachten, dass diese Anpassungsphase viel schneller geht, wenn der Hörverlust möglichst früh behandelt wird.
Wenn es solch eine Vorsorge-Methode für das Gehör gäbe, hätte man dem Abbau des Gehirns, von dem wir hier reden, entgegengewirkt und die Schwerhörigkeit würde zu einem untergeordneten Risikofaktor für Demenz werden. Ist die Demenz erst einmal vorhanden und dann soll die Schwerhörigkeit behandelt werden, ist das viel aufwendiger und in manchen Fällen fast unmöglich. Für andere Erkrankungen gibt es ab einem gewissen Alter eine Vorsorge-Möglichkeit. Leider ist sowas für das Gehör noch nicht etabliert. Meiner Meinung nach sollte das geändert werden gerade im Hinblick auf den demografischen Wandel. 

Was würden Sie also Personen raten, die vielleicht ein bisschen Probleme mit dem Hören haben? Wo fange ich sozusagen an, beim Hausarzt oder dem Hörgeräteakustiker? Und wie geht’s weiter?
Tatsächlich würde ich als ersten Schritt den niedergelassenen HNO-Arzt aufsuchen, da Hören ein recht spezifisches Thema ist.
Natürlich kann auch als erstes der Weg zum Hörgeräte-Akustiker gesucht werden. Diese sind heutzutage auch in der Lage eine Beratung zum Thema Hören zu geben und natürlich auch entsprechende Untersuchungen durchzuführen. Das ist in vielen Filialen meist ohne Termin möglich. Manchmal gibt es auch von den Akustikern Aktionen in der Stadt, wie beispielsweise einen Hörbus. Hier wird in einer lockeren Atmosphäre das Thema Hören angesprochen und getestet. Je nach Ergebnis würde dann eine Vorstellung beim HNO-Arzt vorgeschlagen werden. Da werden dann noch ein paar speziellere Untersuchungen durchgeführt. Wenn also festgestellt wird, dass ein Hörgerät medizinisch sinnvoll wäre, kann der Patient dazu eine entsprechende Verordnung erhalten. Mit dieser Verordnung geht es dann wieder zum Hörgeräte-Akustiker. Die Aufgabe des Akustikers ist es nun verschiedene Hörgeräte mit den Patienten zu testen, bis das geeignetste gefunden wurde. Später werden dann die verschiedenen Einstellungen des Hörgeräts durch den Akustiker vorgenommen. Die richtige Einstellung des Hörgeräts wird meist schneller gefunden, wenn der Hörverlust möglichst früh entdeckt und auch behandelt wird. Grundsätzlich ist eine Zusammenarbeit zwischen HNO-Arzt und Akustiker gegeben.

Herr Dr. Saure bei Ihnen in der Geriatrie ist vermutlich ein gewisser Prozentsatz der Patienten von Altersschwerhörigkeit betroffen. Sind die denn in der Regel gut versorgt? Oder würden Sie sich hier mehr wünschen?
Zunächst einmal möchte ich Frau Fink von ganzem Herzen beipflichten: Die Versorgung mit Hörhilfen im Alter ist so wichtig und wertvoll.  Ganz unabhängig von medizinischen Erwägungen, einfach schon für die eigene Lebensqualität.
Natürlich haben wir viele Menschen mit Altersschwerhörigkeit in unserer Geriatrie. Und ich sage Ihnen: es macht einen erheblichen Unterschied, ob jemand mit einem gut eingestellten Hörgerät am therapeutischen Alltag aktiv teilnehmen kann, oder ob keine Hörgeräte vorhanden sind. Manchmal sehen wir bei ein und demselben Patienten den Unterschied, wenn endlich die Hörgeräte gebracht werden oder repariert sind oder die Batterien ausgetauscht: Auf einmal geht es mit der Rehabilitation viel besser.
Frau Fink hat sehr schön den Weg dargestellt, der von der Sorge um eigene Schwerhörigkeit über den HNO-Arzt oder Hörgeräteakustiker zur Diagnostik führt, und dann oft zur Hörgeräteversorgung. Ich möchte ihren Rat ausdrücklich unterstützen, diesen Weg frühzeitig zu gehen und nicht erst, wenn es gar nicht mehr geht. Je früher bei der altersbedingten Schwerhörigkeit eine Versorgung mit Hörhilfen stattfindet, desto einfacher wird es, sich an die Hörgeräte zu gewöhnen. Es ist nämlich nicht so einfach: Hörgeräte an und ins Ohr und alles ist gut, sondern man durchläuft einen richtigen neuen Lernprozess: Das Hören mit dem Hörgerät ist erst einmal ungewohnt und anders. Es lohnt sich aber, diesen Weg zu gehen, denn Ohr und Gehirn werden sich an das neue Hören anpassen und im Laufe dieses Prozesses kann es richtig gut werden mit erheblicher Besserung der Lebensqualität, der sozialen Kontaktmöglichkeiten, selbst wenn das Hören nicht genauso klingt, wie man es von früheren Zeiten guter Hörfähigkeit in Erinnerung hat. 
Wir haben bisher über Schwerhörigkeit und Demenz gesprochen, ich möchte noch kurz über das Delir sprechen, das wir so oft auf unseren Akutstationen im Krankenhaus sehen: Die akute, oft heftige und bedrohliche Verwirrtheit in der fremden Umgebung Krankenhaus, nach Operationen, auch als Medikamentennebenwirkung. Für das Risiko, ein solches Delir zu entwickeln, besteht ein ganz klar nachgewiesener Zusammenhang: Sehen und hören können, also Brille und Hörgeräte nutzen, senkt das Risiko erheblich, damit sind auch die Chancen besser, z.B. nach einer Operation wieder gut auf die Beine zu kommen.
Was wünsche ich mir? Weniger Passivität nach dem Motto „ist halt so im Alter“. Auch wenn Sie schon alt sind und manches nicht mehr so gut geht: Es ist nicht egal, ob Sie gut hören können. Sie können mehr Lebensfreude haben, wenn Sie hören, Begegnungen mit anderen Menschen, vielleicht können Sie auch wieder vertraute oder neue Musik genießen. Hörhilfen können Ihnen weiterhelfen. Sie sind neu und ungewohnt am Anfang, es braucht Zeit und Engagement in den ersten Wochen, um sich an sie zu gewöhnen. Aber Sie haben schon so vieles geschafft und erarbeitet im Leben, Sie können auch das gute Hören mit Hörhilfen lernen und schaffen. Machen Sie einfach. Und liebe Angehörige, unterstützen Sie, erinnern Sie, machen Sie Mut, begleiten Sie zum Hörgeräteakustiker, wenn nötig. 

Haben Sie auch anhand dessen, was wir hier heute besprochen haben, Ideen, was man in Zukunft vielleicht ändern könnte?
Dieses Projekt hat auf jeden Fall die Zusammenarbeit zwischen den beiden Abteilungen intensiviert. Durch den engen Zusammenhang zwischen Schwerhörigkeit und Demenz sollte die Zusammenarbeit für unsere gemeinsamen Patienten weiter ausgebaut werden.
Mir hat es viel Freude gemacht, mit Ihnen zusammen diesen Podcast zu gestalten. Ich wünsche mir, dass wir als HNO- und Geriatrie-Teams enger zusammen arbeiten für unsere Patienten.

Ich freue mich sehr, dass Sie beide so direkt für dieses Thema zu begeistern waren und wir in den vergangenen Wochen, in denen wir die heutige Folge gemeinsam vorbereitet haben, zusammen wirklich viel über das Thema und auch glaube ich Ihre gegenseitige Arbeit erfahren haben. Ich merke schon, da werden sich in Zukunft neue Prozesse finden – das freut mich absolut. Bevor ich die heutige Episode beende, möchte ich gerne noch die Patienten von Jessica Fink grüßen. Ich weiß nämlich, dass Sie Patienten, die gerade ein Implantat erhalten haben, empfehlen, Podcasts zu hören. In Zukunft können Sie ja vielleicht unsere Podcast-Reihe hier empfehlen.
Und damit ein herzliches Danke an Sie beide und an unsere Zuschauer gebe ich gerne noch einmal unsere glaube ich ganz wichtige Botschaft mit: Nehmen Sie eine Schwerhörigkeit gerade im Alter nicht einfach hin. Nehmen Sie den Weg zum Arzt bzw. Akustiker auf sich und lassen Sie sich beraten. Danke Ihnen beiden für die wichtige Botschaft.