Training mit High-Tech-Puppe

Anästhesisten üben den Ernstfall mit hochmodernem Simulator

Er liegt im OP in Narkose. Eine Routine-Operation. Der Anästhesist und der Anästhesiepfleger überwachen ihn.  Plötzlich zeigt der Patient nach der Gabe von Antibiotika Anzeichen einer schweren allergischen Reaktion mit Schock. Es piept jetzt schneller, die Kurven auf den Monitoren und all die Messgeräte zeigen an, dass der Zustand des  Patienten ernst ist. Die OP wird abgebrochen, der Patient mit Adrenalin, der Gabe von Flüssigkeit und Cortison  stabilisiert, bis die OP fortgesetzt werden kann.

Alles ist glatt gelaufen. Der echte Patient hätte den ernsten Zwischenfall gut überstanden. Hier war es nur eine Puppe. Allerdings eine ganz besondere, ein technisches Meisterwerk, das wie ein Mensch reagiert und mit dem die  Anästhesisten den Ernstfall üben können. Dr. Martin Grapengeter ist Chefarzt der Anästhesie und Intensivmedizin  am Klinikum in Bad Hersfeld. Der Simulator von CAE Healthcare, dem Weltmarktführer für Medizinsimulatoren, stand den Anästhesisten im Bad Hersfelder Klinikum eine Woche lang zur Verfügung. Dr. Grapengeters persönliche  Kontakte haben das ermöglicht. Denn die „Puppe“ hat einen Wert von 360 000 Euro.

Bevor es losgeht, gibt der Arzt am Computer die Patientendaten ein: Alter, Konstitution, Vorerkrankungen wie  Nierenschaden, Herzprobleme und vieles mehr. Entsprechend reagiert der Simulator, atmet wie ein Mensch,  verbraucht Sauerstoff und produziert Kohlendioxid, reagiert auf die Gabe von Medikamenten.

Patienten mit Blutvergiftung (Sepsis) oder schwerer Lungenentzündung können ebenso simuliert werden wie solche mit massivem Blutverlust, zum Beispiel bei einem Aortenaneurysma (Aussackung der Hauptschlagader). Selbst die Pupillen reagieren auf Licht. Die Anforderungen an die Anästhesisten steigen ständig, weil die Patienten immer älter werden und heute auch solche operiert werden, bei denen das vor 20 Jahren noch ein zu großes Risiko gewesen wäre.

Das Risiko der Operation, wenn Gehirn, Herz, Lunge und Nieren 75 oder 80 Jahre alt sind, liegt beim Anästhesisten, erklärt Grapengeter. Mitte der 90-er Jahre war die Uni-Klinik in Erlangen eine der ersten in Deutschland, die mit  einem Vorgängersimulator arbeitete. Damals war Martin Grapengeter in Erlangen tätig. Seine Kontakte haben es  nun ermöglicht, dass der Simulator der neuesten Generation nach Bad Hersfeld kam. Normalerweise gibt es solche nur an Uni-Kliniken.

Vor allem Fälle werden geübt, die nur selten vorkommen, die eine große Herausforderung darstellen. Besonders profitieren die jungen Assistenzärzte in der Facharztausbildung. Es werde deutlich, dass man viel mehr reden müsse als in einem eingespielten Team, erklärt Uwe Hilberg, der stellvertretende Stationsleiter der Anästhesie. Am Patienten dürfe man keinen Fehler machen, beschreibt Werner Hampe den Vorteil des Simulators. Er ist zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit und selbst vom Fach.

Dr. Martin Grapengeter wünscht sich, dass sein Team jedes Jahr die Möglichkeit bekommt, eine Woche intensiv zu  üben. Dazu können die Ärzte zum Beispiel im Simulationszentrum der Charité in Berlin üben. Im Verbund mit  Krankenhäusern in der Region könnte auch ein Simulator zur gemeinsamen Nutzung angeschafft werden, überlegt  Geschäftsführer Martin Ködding.

Hintergrund

Die Anästhesie und Intensivmedizin ist mit 30 Ärzten und 33 Pflegekräften die größte Abteilung am Klinikum in Bad  Hersfeld.
Dazu gehören 15 OP-Säle, die operative Intensivstation, Notärzte, der Aufwachraum und die Schmerzambulanz.
Pro Jahr werden am Klinikum 14 000 Narkosen eingeleitet – eine große Zahl für ein Krankenhaus in öffentlicher  Trägerschaft.
Kleine Uni-Kliniken wie die in Homburg/Saar verzeichneten etwa 18 000, erklärt Dr. Martin Grapengeter, Chef der  Abteilung Anästhesiologie und Intensivmedizin.
Zurzeit befinden sich zehn Assistenzärzte in der Facharztausbildung zum Anästhesisten. Sie dauert fünf Jahre und  kann komplett in Bad Hersfeld geleistet werden.
Auch die einjährige Weiterbildung Intensivmedizin ist am Klinikum möglich. (Foto u. Text: G. Schankweiler/HNA)

pdf Zeitungsartikel der HZ vom 03.01.2014