Video ist keine Arzt-Alternative
Telemedizin ermöglicht es, mit audiovisueller Technik trotz räumlicher Trennung Diagnostik und medizinische Notfalldienste anzubieten. Das Bundesgesundheitsministerium will das Angebot weiter ausbauen. So können etwa seit 2022 auch Leistungen des ärztlichen Bereitschaftsdienstes per Videosprechstunde erbracht werden. Im ländlichen Raum sei Telemedizin ein wichtiger Bestandteil der medizinischen Versorgung. Auch das Kreisklinikum in Bad Hersfeld setzt auf diese digitalen Möglichkeiten.
„Wir setzen die Telemedizin im Bereich der Radiologie-Befundung, zum Arzt-Arzt-Austausch im Bereitschafts- und Rufdienst, in der Interaktion zwischen Rettungsdienst und Notaufnahme, dem Tumorboard oder beispielsweise auch in elektronischen Sprechstunden ein“, sagt Dr. Dalibor Bockelmann, Medizinischer Direktor am Kreisklinikum. In der täglichen Routine ließe sich telemedizinisch eine Vielzahl von Aspekten durch die schnelle Weitergabe von Befunden, Informationen und Behandlungsdaten sehr gut abbilden.
Das sehen auch die niedergelassenen Hausärzte im Kreis ähnlich, berichtet Dr. Martin Ebel, Sprecher der Hausärzte im Kreis. „In unserem Arbeitsalltag spielt die Telemedizin keine große Rolle.“ Der direkte Kontakt zum Patienten liefere die meisten Informationen in Sachen Krankheitsverlauf. „Das kann eine Kamera und ein Mikrofon nur bedingt ersetzen.“
Anders sehe es im klinischen Alltag aus. „Wenn dort ein Patient notfallmäßig aufgenommen wird und kein Neurochirurg vor Ort ist, können auch Bilder übermittelt und von einem Experten bewertet werden, der nicht im Haus ist“, sagt Ebel.
Besonders im ländlichen Raum müsse man gut vernetzt sein, sagt Dr. Martin Oechsner, Medizinischer Geschäftsführer am Kreiskrankenhaus Rotenburg. „Wir haben nicht alle Abteilungen vor Ort, daher setzte man auf Telemedizin. Als Beispiel nennt Oechsner das Tumorboard, bei dem per Videokonferenz Pathologen aus Kassel oder Strahlenexperten aus Fulda über Befunde beraten können.
Technik erleichtert Arbeit von Ärzten
Das Kreisklinikum Bad Hersfeld bietet telemedizinische Anwendungen in verschiedenen Bereichen an und hat damit bislang gute Erfahrungen erzielt, erklärt Dr. Dalibor Bockelmann, Medizinischer Direktor des Klinikums. Kritischer sehen die niedergelassenen Ärzte telemedizinische Angebote. Dazu Fragen und Antworten:
Was versteht man überhaupt unter dem Begriff Telemedizin?
Die Telemedizin beinhaltet im Grunde jedweden Austausch von medizinischen Sachverhalten und Informationen, seien es radiologische Bilder, Diagnostik wie EKG, Laborbefunde etc. mithilfe von Kommunikations- und Informationstechnologien über eine räumliche Distanz. Hierunter fallen beispielsweise auch Gespräche zwischen Arzt beziehungsweise Therapeut und Fachkollegen, der Kontakt zu Patienten im Rahmen von Videosprechstunden oder auch die digitale Kommunikation und Informationsweitergabe zwischen Rettungsdienst und einer zentralen Notaufnahme, erläutert Dalibor Bockelmann. „Nichtsdestotrotz fühlt sich das persönliche Gespräch zwischen Arzt und Patient natürlich ‚richtig’ an. Ich glaube, dass das persönliche Gespräch auch weiterhin der beste Weg ist, das Vertrauen zwischen Behandler und Behandeltem aufzubauen“, erläutert Bockelmann.
Welche Vorteile bietet Telemedizin?
Aus der Technik ergebe sich eine Vielzahl von Vorteilen. „So kann die Übermittlung von Patientendaten und Befunden eines Notfallpatienten bereits vor Eintreffen in der Klinik einen Zeitvorteil bedeuten, da Vorbereitungen anlaufen können. Durch Telemedizin lässt sich auch Expertenwissen in der Behandlung von selteneren Krebserkrankungen auf schnellem Wege einholen – auch hiervon profitiert der Patient“, sagt Bockelmann. Im Bereich der Hausärzte sieht Martin Ebel, Sprecher der Hausärzte im Kreis, derzeit noch keine großen Vorteile durch Telemedizin. „Die Behandlung umfasst die Untersuchung des Patienten und nicht nur ein Blick in die Kamera.“ Dr. Martin Oechsner, Medizinischer Geschäftsführer am Kreiskrankenhaus Rotenburg, sieht den Vorteil der telemedizinischen Angebote vor allem in der Befundung und dem Sichten von Krankheitsbildern, was den Arbeitsalltag erleichtere. Auch er macht deutlich, dass zur Behandlung natürlich immer ein persönlicher Arztkontakt bestehen müsste.
Wie wird gewährleistet, dass es nicht zu Problemen bei der Glasfaserversorgung kommt?
Es kommen neben Glasfaserverbindungen ebenfalls drahtgebundene beziehungsweise Funk-Verbindungen zum Einsatz, erklärt Torsten Wennemuth, Konzernleitung EDV-Abteilung im Kreissklinikum. Dadurch sei eine Verbindung stets gewährleistet.
Wie steht es um die Datensicherheit. Wie funktioniert der Schutz vor möglichen Hackerangriffen?
Die Bedeutung der Cyber-Sicherheit sei besonders in den letzten Jahren exponentiell gewachsen, sagt Wennemuth. „Mit der zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung von Geschäftsprozessen ist es unerlässlich, dass neue Sicherheitsmaßnahmen implementiert werden, um sich vor den stetig wachsenden Bedrohungen aus dem Cyberraum zu schützen.“ Firewalls, Intrusion Detection/Prevention Systeme und eine sichere Netzwerkarchitektur seien wichtig, um den unbefugten Zugriff auf die Systeme zu verhindern.
Wie wird sich noch gegen Cyberangriffe geschützt?
Neben den technischen Maßnahmen würden auch die Mitarbeiter unter anderem durch Online-Schulungen zum Thema IT-Sicherheit sensibilisiert. Dr. Martin Ebel verweist ebenfalls auf die zunehmenden Hacker-Angriffe. „Ich kann mir gut vorstellen, dass auch im medizinischen Bereich vertrauliche Daten gehackt werden könnten, um anschließende Erpressungsversuche zu unternehmen.“
Wird Telemedizin an Bedeutung gewinnen?
Telemedizin werde weiter an Bedeutung gewinnen, da das Ziel eine gute Vernetzung zwischen Behandlern und Standorten sein müsse, so Bockelmann. „Es kann nicht unser Interesse sein, Informationsverluste durch Versenden von Arztbriefen oder Faxen zu haben, wenn die technischen Möglichkeiten für einen sicheren Datentransfer bestehen.“ Auch im Bereich der Hausärzte könnten diese Angebote künftig zunehmen, besonders in Regionen, in denen Ärztemangel herrsche. Auch im Bereich der Psychotherapie, wo ausschließlich Gespräche geführt würden, könnten telemedizinische Angebote nützlich sein und funktionieren.
„Ob das aber Vertrauen bei den Betroffenen schafft, mag ich bezweifeln“, so Ebel. Dies sieht auch Oechsner so, der davon ausgeht, dass sich die Telemedizin künftig verstärkt im Bereich der niedergelassenen Ärzte entwickeln könnte, damit auch die Allgemeinmediziner von der Vernetzung profitierten. (Quelle: HZ v. 08.09.2023)