Wenn der Tod Leben rettet

Seit März gibt es ein neues Organspende-Register, in dem sich potenzielle Spender online registrieren lassen können. Über das neue Register und die mangelnde Organspende-Bereitschaft in Deutschland sprach Kai A. Struthoff mit dem Transplantationsbeauftragten und Chefarzt für Anästhesie am Klinikum Bad Hersfeld Prof. Dr. Stefan Soltesz.

Herr Prof. Soltesz, seit Mitte März gibt es das neue Organspende-Register. Was ist daran der Vorteil?
Bislang gab es ja nur den Organspendeausweis, und das hat uns im Krankenhaus oft Schwierigkeiten bereitet, weil potenzielle Organspender den Ausweis nicht dabei hatten und oft auch ihre Angehörigen nicht informiert hatten. Mit dem Online-Register können wir zu jeder Tages und Nachtzeit auf eine Datenbank zugreifen, wenn wir einen Patienten haben, der als Spender geeignet wäre, den wir aber nicht mehr fragen können. Das Register gibt uns eine klare Information, mit der wir arbeiten können.

Reicht diese Neuregelung aus, um die Organspende-Bereitschaft zu steigern?
Fachleute von der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) sind skeptisch und glauben nicht, dass das viel bringen wird. In anderen Ländern gibt es schon länger ähnliche Register und dort haben sich leider nicht sehr viele potenzielle Spender eingetragen.

Voraussetzung, um das Online-Register zu nutzen, ist ein Personalausweis mit Online-Funktion. Ist das nicht immer noch viel zu kompliziert?
Ich habe so einen Ausweis mit Online-Funktion und bei mir hat die Registrierung zügig und einfach geklappt. Aber man muss das ja nicht so machen, denn man kann ja immer noch den konventionellen Ausweis bei sich tragen. Zudem gibt es auch die Möglichkeit einer Patientenverfügung oder mit den Angehörigen darüber zu sprechen. Das ist aus meiner Sicht das Wichtigste, denn wir fragen die Angehörigen, ob der Patient bereit ist, seine Organe zu spenden.

Woran liegt es, dass immer noch so wenige Menschen nach Ihrem Tod Organe spende?
Das weiß ich auch nicht genau. Was ich aber weiß, ist, dass die Organspendebereitschaft in anderen Ländern deutlich höher ist. Vielleicht liegt das an anderen kulturellen Wertvorstellungen? An der religiösen Einstellung kann es eigentlich nicht liegen, denn die großen Glaubensgemeinschaften, die es bei uns gibt, sind fast alle für Organspenden. Trotzdem erleben wir es leider sehr oft, dass Angehörige eine Organspende ablehnen, wenn sie nicht vorab explizit über den letzten Willen des Verstorbenen informiert wurden.

Schwingt dabei unterschwellig vielleicht auch die Angst mit, dass Organe entnommen werden, obwohl der Patient doch noch zu retten wäre?
Ich bin jetzt seit 31 Jahren Arzt und habe viele Organentnahmen und Transplantationen begleitet. Dabei habe ich nicht die Erfahrung gemacht, dass derartige Fehldiagnosen oder anderweitiger Missbrauch vorgekommen wären. Die Organspende-Skandale, die es in Deutschland gab, hatten nichts mit einer fehlerhaften Hirntod-Diagnostik zu tun, sondern es ging um manipulierte Wartelisten von Organspende-Empfängern.

Der Präsident der hessischen Landesärztekammer hat sich vor Kurzem erneut für eine Widerspruchslösung bei der Organspende ausgesprochen. Das heißt, jedem könnten nach dem Tod Organe entnommen werden, es sei denn, der Patient hat dem zu Lebzeiten explizit widersprochen. Würde eine solche Regelung das lange Warten auf Spenderorgane beenden?
Es würde das Problem vermutlich etwas entschärfen, aber auch nicht völlig lösen. Denn es besteht ja weiterhin die Möglichkeit, für Angehörige oder den todkranke Patienten selbst zu widersprechen. Ich persönlich bin ein Anhänger der Widerspruchslösung. Auch die Zahlen belegen, dass Staaten, in denen die Widerspruchslösung gilt, tendenziell mehr Spender generieren können. Aber das Alles-Entscheidende ist immer zuerst die Einstellung der Patienten und das Wissen darum bei den Angehörigen. Wenn die Familie nicht weiß, ob ein Patient seine Organe spenden will, dann entscheiden sich 80 Prozent der Hinterbliebenen gegen eine Spende. In Spanien zum Beispiel ist das genau umgekehrt. Dort scheint es einen breiteren gesellschaftlichen Konsens zu geben.

Patienten sollen künftig regelmäßig etwa vom Hausarzt auf die Problematik der Organspende angesprochen werden. Wie realistisch ist das angesichts des knappen Zeitbudgets in den Praxen?
Nun, immerhin gibt es für Hausärzte die Möglichkeit, derartige Beratungsgespräche abrechnen zu können. Als Klinikärzte wünschen wir uns, dass die Hausärzte mit ihren Patienten über Vorsorgevollmachten, Patientenverfügung und eben auch über mögliche Organspenden sprechen. Wir brauchen im Krankenhaus derartige Willensbekundungen – auch für andere Behandlungen.

Sprechen Sie regelmäßig mit Ihren Patienten über die Möglichkeit der Organspende, und wie reagieren sie darauf?
Das ist ein schwieriges Thema: Wenn ich den Angehörigen eines Patienten vermitteln muss, dass dieser schwerstkrank oder bereits hirntot ist und deshalb als Organspender in Frage kommt führt das für die Betroffenen zu einer extremen Ausnahmesituation, die sie sehr belastet. Dennoch ist dies ein Thema, das immer angesprochen werden muss.
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit bei einem potenziellen Spender die Organe entnommen werden?
Früher galt ein Mensch als tot, wenn er aufgehört hatte zu atmen. Heute kann die Intensivmedizin, Menschen künstlich beatmen und das Herz-Kreislauf-System aufrecht erhalten. Deshalb gibt es jetzt die Definition des Hirntods. Nur dann, wenn alle Funktionen des Gehirns ausgefallen sind, gilt ein Patient als hirntot. Danach können für eine gewisse Zeit auf einer Intensivstation die Funktion des Körpers weiter aufrecht erhalten, um die Organe zu versorgen, die dann für eine Spende entnommen werden können.

Wer überprüft das?
Der Hirntod wird von zwei unabhängig voneinander entscheidenden Ärzten festgestellt, von denen einer ein Neurochirurg oder Neurologe sein muss. Beide müssen über intensivmedizinische Erfahrung verfügen. Sie führen ein festgelegtes Testprotokoll durch, bei dem die wichtigsten Körperfunktionen überprüft werden. Dazu gehört etwa, dass ein Patient nicht mehr atmen oder husten darf und auch nicht mehr auf Schmerzreize reagiert. Wichtig ist zudem, dass beide Ärzte nicht zu dem Team gehören dürfen, das später die Organe entnimmt.

Tumor-Erkrankungen oder eine AIDS-Infektion sind Ausschlusskriterien für eine Organspende. Aber wie verhält es sich mit Diabetikern, starken Rauchern oder Trinkern? Sind deren Organe für Transplantationen geeignet?
Wenn die Organe schwer geschädigt sind, dann sind sie natürlich für Transplantationen weniger geeignet. Trotzdem sind in den vergangenen Jahren immer mehr auch ältere Menschen zu Spendern geworden, was auch dem Mangel an Organen geschuldet ist. Aber es gibt auch durchaus gesunde ältere Menschen, deren Organe immer noch für eine Spende in Frage kommen.

Sie selbst sind auch Organspender. Haben Sie kein mulmiges Gefühl, dass Ihnen irgendwann das Herz oder andere Organe entnommen werden können?
Nein. Mag sein, dass man als Arzt in dieser Frage etwas gelassener oder auch abgebrühter reagiert. Aber ich war selbst bei vielen derartigen Eingriffen dabei. Das ist sehr spannend, zuweilen auch mal kritisch, aber vor allem ganz toll, wenn es funktioniert. Alle Eingriffe werden sehr sorgfältig und sehr respektvoll vorgenommen. Wenn ich mir vorstelle, dass ich sterben muss, aber die Option habe, mit einem Teil meiner Organe anderen Menschen das Leben zu retten, dann finde ich das sehr wertvoll und auch tröstlich.

HINTERGRUND
Prof. Dr. Stefan Soltesz ist in Würzburg geboren und in Freiburg aufgewachsen. Nach dem Medizinstudium in Freiburg und Stationen an den Universitätskliniken des Saarlands dem Klinikum Leverkusen und als Chefarzt am Rheinland-Klinikum in Dormagen kam der Mediziner im Jahr 2023 als Chefarzt Klinik für Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapie ans Klinikum Bad Hersfeld. Soltesz ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. In seiner Freizeit fährt er gern mit dem Fahrrad. Das Foto zeigt Professor Soltesz mit Modellen von drei typischen Spenderorganen – Leber, Niere und Herz – die allerdings nicht im gleichen Maßstab nachgebildet sind. kai
Foto: Kai Struthoff