Wenn die Kilos krank machen
Über eine Million Deutsche leiden laut der Deutschen Adipositas Gesellschaft an krankhaftem Übergewicht. Am Klinikum in Bad Hersfeld versucht seit kurzem ein Experten-Team aus verschiedenen Fachrichtungen Betroffenen zu helfen. Wir geben einen kurzen Überblick über die Gründe für die Erkrankung, Folgen und Möglichkeiten der Therapie:
Wann spricht man überhaupt von Adipositas?
Entscheidend und ein anerkannter Wert neben dem Taillenumfang ist der sogenannte Body-Mass-Index (BMI). Dieser stellt das Verhältnis zwischen Körpergröße und Gewicht dar. Er errechnet sich aus dem Körpergewicht in Kilogramm geteilt durch das Quadrat der Körpergröße in Metern. Bei einem BMI zwischen 25 und 30 gilt ein Mensch als übergewichtig – ab 30 als fettleibig (adipös). Dabei werden drei Stadien unterschieden: 30 bis 34,9, 35 bis 39,9 und 40 plus. Ab dem dritten Stadium spricht man von morbider (krankhafter) Adipositas, erläutert Dr. Peter Holke. Adipositas als chronische Erkrankung ist nicht einfach mit einer simplen Diät zu heilen.
Welche Gründe gibt es für krankhaftes Übergewicht?
Es gibt viele Gründe für krankhaftes Übergewicht. Die Genetik kann ebenso wie Vorerkrankungen, zum Beispiel Hormonstörungen der Drüsen, eine Rolle spielen. Weiterhin beeinflussen unter anderem falsche Ernährungsgewohnheiten und Bewegungsmangel im Alltag, das Alter oder fehlende berufliche Perspektiven die Adipositas. Auch psychische Faktoren können eine große Rolle spielen. Allerdings sollten Betroffene nicht mit Worten wie „Ihr müsst einfach weniger essen und euch mehr bewegen“ abgetan werden, betont Carola Holke. „Bei der Adipositas handelt sich um eine echte Erkrankung mit komplexen Ursachen. Psychische Probleme sind häufiger Folge als Ursache der Adipositas.
Welche Folgen drohen den Betroffenen?
Den Patienten drohen schwere Nebenerkrankungen, von Diabetes (Zuckerkrankheit) über Bluthochdruck und Schlafapnoe bis hin zum Herzinfarkt oder Schlaganfall, warnt Dr. Peter Vogel. Die Lebenserwartung kann sich um mehrere Jahre verringern. Auch orthopädische Erkrankungen etwa die Gelenke oder die Wirbelsäule betreffend sowie Veränderungen des Stoffwechsels oder Krampfadern können in der Folge von Fettleibigkeit auftreten. Nicht zu unterschätzen ist aber auch die fehlende Lebensqualität bis hin zur totalen Isolierung im Alltag. Wer arg übergewichtig ist, fühlt sich in der Regel unwohl, kann simple Dinge im Alltag nicht beziehungsweise nur schwer erledigen oder wird am Arbeitsplatz diskriminiert.
Wann ist eine Operation nötig?
Sehr starkem Übergewicht ist mit einer Diät nicht mehr beizukommen, das zeigen große Studien eindeutig. Sport ist in der Regel gar nicht mehr möglich. Eine OP ist immer die „ulitma Ratio“ bei einem BMI ab 35 und schweren Nebenerkrankungen oder einem BMI von mindestens 40, wobei es immer auf den individuellen Einzelfall ankommt. Wenn alle konservativen Therapien über längere Zeit nicht erfolgreich waren, kann eine Operation die Adipositas beseitigen, ihre Folgeerkrankungen vermeiden und auch einen Großteil der Nebenerkrankungen „zurückdrängen“. Am Klinikum in Bad Hersfeld werden seit circa anderthalb Jahren solche Operationen vorgenommen. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: Bei einer Bypass-OP werden der Magen und ein Teil des Dünndarms sozusagen umgangen beziehungsweise ausgeschaltet, sodass das, was gegessen wird, nicht mehr vollständig aufgenommen wird. Bei der Schlauchmagen-OP wird nur ein kleiner Teil des Magens in Form eines Schlauches erhalten. Der das Hungerhormon bildende Teil wird entfernt. Der Patient kann nicht mehr so viel essen und ist eher satt. Die Kosten übernimmt die Krankenkasse auf Antrag. Wichtig zu wissen ist, dass es mit einer Operation allein nicht getan ist. Danach ist der Patient weiter in der Verantwortung. Unterstützt wird er dabei durch ein Nachsorgeprogramm. Nicht operiert werden Menschen mit schweren Infektionskrankheiten, Krebs- und schweren Herzerkrankungen, Darmentzündungen oder Schwangere.
Was verbirgt sich hinter dem neuen Therapieschwerpunkt am Klinikum?
Ein multiprofessionelles Team aus verschiedenen Fachbereichen berät die Betroffenen. Gemeinsam wird ein individuelles Behandlungskonzept entwickelt, das die Bereiche Ernährung, Psychotherapie, Chirurgie und Physiotherapie umfasst. Koordiniert wird der Therapieschwerpunkt Adipositas, der 2015 aufgebaut wurde, von Carola Holke. Der Patient durchläuft über sechs Monate das multimodale Konzept, er hat feste Ansprechpartner und muss selbst verschiedene Aufgaben erfüllen. Das Team des Therapieschwerpunkts hilft auch beim Erstellen eines Antrags für die Krankenkasse. Aktuell warten am Klinikum über 30 Betroffene auf eine Magen-Operation, die vom Schwerpunkt-Team betreut werden.
Welche Rolle spielt die Selbsthilfegruppe?
„Gemeinsam stark – leichter im Leben“ lautet dasMotto der Adipositas-Selbsthilfegruppe am Klinikum, die im November 2014 aus der Zusammenlegung mit einer ähnlichen Gruppe in Rotenburg entstanden ist. In der Selbsthilfegruppe treffen sich Gleichgesinnte, um sich über ihre Erfahrungen auszutauschen – darunter Menschen, die vor einer OP stehen ebenso wie bereits operierte. Geleitet wird die Gruppe von Nadja Reimer. Der Austausch in der Gruppe kann helfen, sich zu motivieren und „dranzubleiben“. Neue Mitglieder sind jederzeit willkommen.
Zur Person
PD DR. PETER VOGEL ist Chefarzt der Allgemein-, Viszeral- und Minimalinvasive Chirurgie am Klinikum Bad Hersfeld und Leiter des Adipositas-Therapieschwerpunkts.
Er ist 58 Jahre alt, wohnt in Bad Hersfeld und arbeitet seit 2012 am Klinikum.
DR. MED. PETER HOLKE ist Facharzt für Chirurgie und führt seit 2010 Adipositas-Chirurgie durch.
Der 57-Jährige lebt in Rotenburg und ist seit Januar 2015 am Klinikum.
CAROLA HOLKE ist Koordinatorin des Adipositas-Schwerpunkts.
Die 57-Jährige aus Rotenburg ist seit Mai 2015 am Klinikum. (Text,Foto: Maaz)
Schwerpunkt und Selbsthilfe
Adipositas-Schwerpunkt am Klinkum Bad Hersfeld
Chefarzt der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Minimalinvasive Chirurgie PD Dr. Peter Vogel
Koordinatoren: Carola Holke Telefon: 06621/881527 E-Mail: carola.holke@klinikum-hef.de
Adipositas-Selbsthilfegruppe am Klinikum „Gemeinsam stark – leichter im Leben“
Ansprechpartnerin: Nadja Reimer Telefon: 0173/7466482 (ab 17 Uhr)