Wenn Schocks das friedliche Sterben stören
Die Implantation eines Defibrillators kann Leben retten. Aber was ist, wenn der Mensch am Ende seines Lebens steht und der Defi ihn nicht gehen lässt? Ein aktueller Fall im Landkreis ist Anlass für Nachfragen.
Rotenburg – Eine Familie aus dem Landkreis hatte sich an unsere Zeitung gewandt, weil sie sich beim Sterbeprozess des hochbetagten Vaters auch vom betreuenden medizinischen Team nicht korrekt in- formiert sah. Der Vater war Träger eines implantierten Defibrillators, der Schocks ausgelöst hatte. Erst nach intensiver Recherche und mit Unterstützung eines Facharztes konnte die Familie ihrem Vater hel- fen. Sie wünscht Informationen für Betroffene.
Für die Ärzte im Rotenburger Herz- und Kreislaufzentrum ist es ein Routineeingriff: Etwa 100-mal im Jahr implantieren sie Defibrillatoren (Defis). Seit 1992 werden die Eingriffe in Rotenburg vorgenommen. Sie können den plötzlichen Herztod verhindern.
Für die Patienten ist die Implantation alles andere als Routine. Das nicht einmal handtellergroße technische Wunderwerk ist ihr Lebensretter unterm Schlüsselbein. Sie müssen sich damit arrangieren, dass im Notfall, bei Kammerflimmern oder Herzrhythmusstörungen ein durchaus schmerzhafter Schock ausgelöst wird, der ihnen gleichzeitig indirekt sagt: Ohne mich würdest Du jetzt sterben. Der Defi gilt als präventive medizinische Ausstattung.
Dass der lebensrettende Schock Patienten aber auch die Chance nehmen kann, am Ende des Lebens friedlich und schnell zu versterben, bestätigt Dr. Stefan Steiner. Er ist seit 1999 im HKZ Arzt für interventionelle Elektro-Physiologie und beschäftigt sich mit Herzrhythmusstörungen und Stromfluss im Herzen.
Der Defi kann zwar einen plötzlichen Herztod verhindern, aber nicht das Sterben an Herzschwäche oder einer anderen Krankheit. Doch dieser Prozess kann durch Schocks verlängert werden. Eine Deaktivierung des Defis ist dann geboten.
Magnet deaktiviert Defi
Dass der Defi im Sterbeprozess schmerzhafte Schocks auslösen kann, sollte Medizinern, besonders im Bereich Palliativ und Notfall-Medizin bekannt sein, sagt Dr. Steiner. Denn sie hätten auch die Möglichkeit, im Sterbeprozess der Patienten den Defibrillator abzuschalten, auch wenn ihnen nicht entsprechende spezielle Programmiergeräte, wie sie Experten verwenden, zur Verfügung stehen. Das geschieht dann mithilfe eines starken Magneten, der von außen auf dem Defi fixiert wird. „Wenn der Defi ein Magnetfeld erkennt, stellt er die Arbeit ein“, sagt der Arzt.
Das gelte für alle stärkeren Magneten, doch gebe es auch speziell für diese Situation gefertigte von den Defi-Herstellern. Rettungswagen zum Beispiel sollten sie, so Dr. Steiner, an Bord haben. Er selbst habe schon solche Magneten ans Rote Kreuz und das Palliativteam Waldhessen verschenkt. Allerdings sagt er auch: „Ich sehe noch Aufklärungsbedarf bei den Kollegen.“ Das Wissen um die Wirkungsweise von Defibrillatoren sei nicht grundsätzlich Bestandteil der medizinischen Ausbildung.
Info für Patienten
Werden die Patienten vor der Implantation über die mögliche Störung des Sterbeprozesses informiert? „Das habe ich früher versucht, heute lasse ich es, weil es die Patienten zu diesem Zeitpunkt im Grunde nicht wissen wollen“, sagt Dr. Steiner. „Menschen, die sich einen Defi einsetzen lassen, haben das Leben im Sinn.“
Der Mediziner glaubt, dass ein solches Gespräch zunächst in der Defi-Selbsthilfegruppe, in einer privateren Runde besser geführt werden könne. Details könne man bei einer späteren Kontrolluntersuchung klären.
Behandlungsabbruch
Die Deaktivierung des Defis bei einem sterbenden Menschen, der etwa wegen einer Krebserkrankung palliativ oder wegen altersbedingten Organversagens behandelt wird, gilt als rechtlich unstrittig, der Patient hat sogar Anspruch auf dessen Einsatz, erklärt Dr. Steiner. Ein Arzt müsse einen Sterbenden nicht weiterbehandeln. Es ist ein zulässiger Behandlungsabbruch. Voraussetzung ist der erklärte Wille des einwilligungfähigen Patienten oder seines Bevollmächtigten. Ansonsten müsste von dem mutmaßlichen Wunsch ausgegangen werden.
Verfügung/Vollmacht
Mediziner empfehlen, einen entsprechenden Passus in einer Patientenverfügung (ICD-Vermerk) festzulegen. Dr. Steiner hält eine Vorsorgevollmacht für fast noch wichtiger. Es sei wichtig für die behandelnden Ärzte, mit einem dem Patienten nahe Stehenden über das weitere Vorgehen sprechen zu können. Es träten in Kliniken immer wieder Situationen auf, die man im Vorfeld beim Verfassen einer Patientenverfügung nicht einkalkulieren könne. Daher sei die Möglichkeit zu einem „vernünftigen Gespräch“ wichtig.
Die Angehörigen
Die Angehörigen spielen eine große Rolle sowohl beim Einsetzen eines Defi als auch bei dessen möglicher Deaktivierung. Sie sollten von Beginn an in die Behandlung einbezogen werden und später auch an den Treffen und weiterbildenden Veranstaltungen der Defi-Selbsthilfegruppe teilnehmen, rät Dr. Steiner. (Foto,Text: HZ_04.08.2021_SILKE SCHÄFER-MARG)