„Wir sind fast am Limit“
INTERVIEW - Prof. Markus Horn und Beate Erath über die Corona-Lage im Klinikum
VON SEBASTIAN SCHAFFNER
Unter Dauerdruck: Ärzte und Pflegekräfte kämpfen bundesweit um das Leben von Corona-Infizierten. Unser Foto zeigt einen Arzt auf einer bayerischen Intensivstation, der einen beatmeten Covid-Patienten behandelt. Foto: Matthias Balk/dpa
Prof. Dr. Markus Horn (61) ist Ärztlicher Direktor am Klinikum Bad Hersfeld. Der Chefarzt für Neurologie ist Spezialist für die Spezielle Neurologische Intensivmedizin und die Schlaganfallbehandlung. Der Marburger hat in Frankfurt und Würzburg studiert und ist Hochschullehrer an der Uni Gießen. Markus Horn ist seit 2004 am Klinikum tätig. Er lebt in Schenklengsfeld, ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. ses
Beate Erath (60) ist leitende Ärztin für Labordiagnostik und Klinikhygiene. Am Klinikum Bad Hersfeld arbeitet sie seit 27 Jahren. Die gebürtige Schwäbin war unter anderem maßgeblich dafür verantwortlich, dass die PCR-Diagnostik am Klinikum etabliert worden ist. Beate Erath hat in Gießen studiert und eine Zusatzausbildung für Krankenhaushygiene. Sie ist verheiratet, hat zwei Söhne und lebt in Bad Hersfeld. ses
Hersfeld-Rotenburg – Die Infektionszahlen sorgen auch im Landkreis für volle Krankenhäuser. Im Interview sprechen Prof. Markus Horn, Ärztlicher Leiter am Klinikum Bad Hersfeld, und die Klinikhygienikerin Beate Erath über die Lage auf den Intensivstationen, Patienten aus anderen Regionen und über Pflegekräfte an der Belastungsgrenze.
Herr Professor Horn, Frau Erath, Mediziner und Politiker warnen vor einem Klinik-Kollaps, das Ärzteblatt sprach kürzlich schon von einer „latenten Triage“.
Wie dramatisch ist die Lage im Klinikum?
Prof. Markus Horn: Wir haben derzeit zehn Covid-Patienten auf den Intensivstationen im Klinikum und im HKZ. Damit befinden wir uns knapp unterhalb des Limits, ab dem eine normale Krankenhausmedizin nicht mehr möglich sein wird. Konkret hieße das, wenn wir diese Schwelle erreichen, müssen wir den Betrieb im planbaren Krankenhausbereich deutlich einschränken.
Sprich: nicht dringende Operationen verschieben?
Horn: Ja, aber nicht nur das. Das würde auch alle Krankheitsbilder der konservativen Medizin betreffen, bei der es ebenfalls akuten oder mittelfristig zeitkritischen Behandlungsbedarf gibt.
Schon im vergangenen Winter waren die Kliniken voll mit Covid-Patienten – damals gab es noch keine Impfungen. Davon abgesehen: Was ist jetzt anders als vor einem Jahr?
Beate Erath: Wir beobachten, dass die Patienten deutlich jünger sind, nicht so schwer erkranken und vergleichsweise früh nach Hause entlassen werden. Das führt dazu, dass die Beanspruchung auf der normalen Covid-Station gestiegen ist.
Horn: Wir haben allerdings auch schwere Verläufe bei jüngeren Menschen. In der letzten Woche haben wir eine 26-jährige Frau auf die Intensivstation aufgenommen, die inzwischen beatmungspflichtig ist, und haben einen 37-Jährigen behandelt, der an der künstlichen Lunge lag.
Zwischen den einzelnen Wellen blieb kaum Zeit, durchzuschnaufen. Wie lange halten Sie und Ihre Kollegen das noch durch?
Horn: In der Tat hält die Pandemie uns alle in Atem. Das betrifft übrigens sämtliche Bereiche des Krankenhauses. Denn es funktioniert alles nur gemeinsam. Im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung stehen vor allem diejenigen, die in den Covid-Bereichen tätig sind und dort bereits seit Monaten wieder Außerordentliches leisten. Dies ist aber nur möglich, weil gleichzeitig Kollegen in anderen Bereichen die Mehrbelastung mittragen. Mir ist deshalb sehr daran gelegen, dass wir in der öffentlichen Debatte die enorme Zusatzbelastung aller im Krankenhaus tätigen Pflegekräfte und Ärzte wahrnehmen und würdigen. Also: Es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als durchzuhalten bis diese Welle gebrochen ist. Wir müssen sorgfältig darauf achten, dass wir unser Personal so gut es geht schützen. Je länger die momentanen Belastungen anhalten, desto größer ist die Gefahr, dass einzelne Mitarbeiter zunehmend in eine Situation der Überforderung geraten und für die Patientenversorgung nicht mehr zur Verfügung stehen.
Wie oft kommt das vor?
Horn: Wir beschäftigen an unseren Standorten insgesamt etwa 3000 Mitarbeiter. Im Einzelfall kann man nicht immer nachvollziehen, warum Arbeitsunfähigkeit besteht oder Mitarbeiter das Haus verlassen. Bedauerlicherweise haben wir in diesem Jahr zahlreiche Mitarbeiter in der Pflege, insbesondere in der Intensivpflege, verloren, sodass, wie in vielen deutschen Kliniken, zahlreiche Pflegestellen unbesetzt sind – ohne Ihnen jetzt aus dem Stand eine konkrete Zahl nennen zu können.
Wie viele der Covid-Patienten sind geimpft?
Erath: Zu Beginn der vierten Welle waren es etwa zwei Drittel Ungeimpfte und ein Drittel Geimpfte. Jetzt verschiebt es sich allmählich in Richtung Hälfte/Hälfte.
Woran liegt das?
Erath: Das liegt an den Impfdurchbrüchen.
Wie lange bleibt ein Infizierter bei Ihnen?
Erath: Auch das hat sich im Laufe der Pandemie geändert. Auf der Normalstation liegen Covid-Patienten im Schnitt zwei Wochen, auf der Intensivstation beträgt die durchschnittliche Liegedauer drei Wochen. Das war früher anders. Da hatten wir Patienten, die teils Monate auf der Intensivstation lagen.
Sie arbeiten selbst auf der Intensivstation. Wie groß ist Ihre persönliche Sorge, sich bei einem Covid-Patienten anzustecken?
Horn: Ich habe keine Sorge, mich anzustecken. Ich vertraue den Hygieneauflagen. Wir tragen FFP2-Masken, desinfizieren unsere Hände, legen, wenn nötig, Schutzkleidung an. Wir sind inzwischen ausreichend ausgestattet. Auch das ist ein Unterschied zum Beginn der Pandemie, als wir beispielsweise Sorge hatten, über genügend Masken oder Desinfektionsmittel zu verfügen.
Woran liegt es, dass derzeit bundesweit 4000 Intensivbetten weniger zur Verfügung stehen als noch Anfang des Jahres?
Erath: Das liegt nicht an fehlenden Betten oder Beatmungsgeräten, sondern am Pflegekräftemangel.
Auch die Gesamtzahl der Intensivbetten im Landkreis ändert sich täglich. Wie kommt das?
Horn: Wir müssen die Anzahl der betreibbaren Intensivbetten tagesaktuell mit dem zur Verfügung stehenden Pflegepersonal abstimmen. Wie viele das sind, erfahren wir oft erst kurz vor Dienstbeginn, wenn sich beispielsweise Mitarbeiter krankgemeldet haben. Im Rahmen der Pandemie haben wir in Bezug auf die vorzuhaltenden Betten für Covid-Patienten allerdings die Vorgaben der Landesregierung zu erfüllen.
Das heißt?
Horn: Nach der letzten Verfügung der Landesregierung vom letzten Wochenende haben Klinikum und HKZ gemeinsam 16 Intensivbetten und 24 Betten im allgemeinstationären Bereich für Covid-Patienten vorzuhalten.
In Ost- und Süddeutschland sind einzelne Krankenhäuser bereits an der Kapazitätsgrenze. Haben Sie schon Patienten aus anderen Regionen aufgenommen?
Horn: Ja, wir haben bereits drei Beatmungspatienten aus anderen Bundesländern übernommen, jeweils schwer betroffene Menschen: einen aus Thüringen und zwei aus Niederbayern.
Was halten Sie eigentlich von einer Impfpflicht?
Horn: Das ist eine politische und gesellschaftliche Diskussion, in die ich mich in meiner Rolle als Arzt nicht einmischen möchte. Aus medizinischer Sicht ist eine möglichst hohe Impfquote natürlich wünschenswert.
Was sagen Sie Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen?
Erath: Wir versuchen, zu beraten, zu unterstützen und zu überzeugen. Letztlich kommt man mit fachlichen Inhalten aber schlecht gegen Vorbehalte an, zumal es oft zementierte Meinungen sind.
Hatten Sie schon Probleme mit Coronaleugnern?
Horn: Die Menschen, die hier ein- und ausgehen, stellen einen Querschnitt der Bevölkerung dar. Gelegentlich müssen wir auch Patienten und Besucher auf die Hygienevorschriften hinweisen.
In den Kliniken im Landkreis gilt seit zwei Wochen ein generelles Besuchsverbot. Welche Regeln gelten für Ihre Mitarbeiter?
Erath: Ungeimpfte Mitarbeiter müssen täglich vor Arbeitsbeginn einen Antigen-Schnelltest unter Beobachtung durchführen. Geimpfte müssen sich zweimal pro Woche testen, das darf allerdings zu Hause geschehen.
Wissen Sie, wie hoch die Impfquote in Ihren Häusern ist?
Erath: Ja, das dürfen wir laut Infektionsschutzgesetz erfragen. Unsere Impfquote liegt bei circa 80 Prozent, wohlgemerkt über alle Standorte und Berufsgruppen hinweg.
Eine Milliarde Euro wollen SPD, FDP und Grüne als Anerkennungsbonus an die besonders Pandemie-belasteten Intensivpfleger zahlen. Reicht das?
Horn: Nein, das allein reicht sicher nicht aus. Dieser Ansatz geht an denjenigen vorbei, die die pandemiebedingte Belastungssituation in den Krankenhäusern entscheidend mittragen, vor allem an den Mitarbeitern, die die Intensivpflege bei Nicht-Covid-Patienten sicherstellen. Aus diesem Grund halte ich es für ein politisch verfehltes Signal, wenn, wie im vergangenen Jahr, Corona-Zulagen nur an die Mitarbeiter der Covid-Bereiche ausgezahlt werden. Daneben geht es aber insbesondere in der Krankenpflege nicht nur um mehr Geld, sondern vor allem um planbare Arbeitszeiten und zumutbare Arbeitsbedingungen. Aufgrund von Personalausfällen infolge der hohen momentanen Belastung werden Pflegemitarbeiter häufig kurzfristig gebeten, aus ihrer Freizeit heraus einzuspringen, um den Stationsbetrieb zu sichern. Das trägt langfristig nicht zur Arbeitsplatzzufriedenheit und nicht zur Gesundheit unserer Mitarbeiter bei.
Hier finden Sie den Bericht aus der Hersfelder-Zeitung vom 10.12.2021